Moderne Charakteristiken, Band 2

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C. Löwenthal, 1835 - 428 Seiten
 

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Beliebte Passagen

Seite 273 - ... dem Geheimnis der Dreifaltigkeit bezeichnet sehen, dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gottheit selber nimmt ewigen Anteil an diesen Geheimnissen; dann glaub ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Tier ist. — Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen, und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr sein, daß ich im Kloster war.
Seite 75 - Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß, Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte. Ihr führt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein; Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
Seite 300 - Laune verbanden sich Naivität und Witz, Schärfe und Lieblichkeit, und allem war zugleich eine tiefe Wahrheit wie von Eisen eingegossen, so daß auch der Stärkste gleich fühlte, an dem von ihr Ausgesprochenen nicht so leicht etwas umbiegen oder abbrechen zu können.
Seite 269 - Jugend, der alle die brausenden Wogen unsers frühsten Enthusiasmus erregt, der uns mit seinen schlagenden, schönen Worten bis ins Innerste getroffen hatte. Friedrich Schiller hatte all den schlummernden Gedanken und Affekten der Deutschen Worte geliehen, er war aus der Mitte des deutschen Herzens gewachsen, er war der deutsche Dichter, den unsre Seelen begehrten; wie wir denn immer das für das Beste halten, was unausgesprochen in uns gelegen, was uns bekannt ist. Auch der Geist hat seinen Nepotismus....
Seite 163 - Und an welche Klasse von Lesern mußte man sich immer mit Tieckschen Sachen wenden? Nur an die, welche durch allerlei Leseübung vorbereitet war, an die Professionsleser, er hat nie etwas geschaffen, was unsre Nation interessiert hätte, er wurzelt nirgends in der Nation, und das geht jedem so, dem es nicht ernst ist, der nur spielt mit den Dingen. Es geht dem Dichter mit seinem Volke wie dem Liebhaber mit den Mädchen: wenn diese sehen, daß er nichts Ernstliches wollen kann, daß er keiner tiefen,...
Seite 81 - Eine Durchgangsepoche wie unsere Zeit, wo Leib und Seele eines sterbenden Jahrhunderts sich unter aufschreienden Schmerzen trennen, wo die Sehnsucht wie durstiges Hochland nach erquickendem Regen lechzt, wird nicht die schönsten, aber sie wird die innigsten Gedichte bringen. Denn zur Schönheit fehlt's an Ruhe, aber zur Wahrheit ist stachelnde Aufforderung da, und jede Wahrheit trifft tief nach Innen, denn sie kommt tief von Innen. Und was unserer neuen Poesie an Schönheit fehlt, das ersetzt sie...
Seite 118 - Gesellschaft sehr spät, sie schlendern durch die stillen Berliner Straßen, Grabbe ist aufgeregt, und dichtet und raisonnirt auf das Lebhafteste. Im Zuge der Rede tritt er mit in's Haus und Zimmer des Bekannten, und schläft bei ihm. Am andern Morgen läßt dieser Kaffee und Semmel bringen — Grabbe frühstückt mit bestem Appetite, aber schweigsam, dann steht er auf, reicht jenem die Hand, und sagt mit tonloser Stimme: Ich danke Ihnen, es war seit drei Tagen das Erste, was ich wieder zu essen...
Seite 46 - ... forschte Menschenalter hindurch nach Buchstaben, nach Wörtern, aber nicht nach Worten und Sinn, man machte aus der Wissenschaft der Vergangenheit ein Handwerk der Vergangenheit. Das Handwerk ist nöthig; aber man setzte es auf den Dekansessel der Facultät, auf den Thron der Wissenschaftlichkeit. Darin lag der Irrthum; darin ruht der Kampf; den Geist der Vergangenheit, nicht seinen Leichnam will die neue Welt."240 Fast wie ein Widerruf des eigenen Kampfes gegen die „Vergangenheit...
Seite 255 - Alten bemißt; ein Kritiker, dessen System keine Perspective hat, kann für ein Land, das ihm glaubt, ein Unglück werden; denn er erkennt keinen Embryo, keine Knospe, er zertritt die Zukunft. Ein Kritiker, der nicht speculirt, ist mir ein Mensch, der nicht wächst.
Seite 403 - Bildungsmittel als den Roman. Die Mutter und die Geliebte bilden am schnellsten und tiefsten, der Roman ist der Deutschen Mutter und Geliebte. Wir lassen uns alle Bücher verbieten, so lange uns die Romane bleiben; ich glaube, daß Deutschland nur dann eine Revolution bevorstehen würde, wenn die Romane mit dem Interdict belegt würden, so wie das römische Volk aufstand, wenn ihm die circensischen Spiele genommen wurden. Die Romane sind unsere circensischen Spiele.

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