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Von den Personen der Dichtung werden viele harten Schicksalen überantwortet; Gefahren drohen überall; aber das Schicksal wird überwunden und das Glück sendet um so heiterere Strahlen aus. So wird Hagen von einem Greifen geraubt, aber später gerettet und den bekümmerten Eltern zurückgegeben; und sein Schicksal wird drei Jungfrauen zum Heile. So wird Hilde, Hagens Tochter, entführt, der blutige Kampf entbrennt um ihren Besiß; aber die Liebe schlichtet den Kampf und begründet ein Leben voll schöner Anmuth; so wird Gudrun der Heimath, dem Glücke der Liebe entführt; aber ihre Ausdauer und Treue ents waffnet das Schicksal und die herrliche Dulderin gewinnt endlich den verdienten Preis der Erlösung. Was von den einzelnen Personen gilt, findet auch Anwendung auf ganze Völker; die Normannen und Hegelingen befehden einander in bitterm Haffe; aber endlich steigt der Friedensbogen der Völkerversöhnung auf. Die Vermählung Ortweins mit Ortrun giebt eine Bürgschaft, daß hinfort die früher feindfelig getrennten Nationen in friedlicher Einheit verbunden sein werden.

Der Geist der Milde und Versöhnung, der uns aus dem ganzen Epos entgegen weht, ist vorzugsweise das Erzeugniß des 13. Jahr, hunderts, in dessen zweites Viertel die Gestaltung des Gedichtes fällt, wie wir es jezt besißen; dieses ritterliche Zeitalter wirkte schon auf die Gestalten der Nibelungen mildernd ein; aber in weit höherem Grade ist der Einfluß desselben in der Gudrun vernehmbar; um diesen milderen Geist in seiner ganzen Lebendigkeit zu fühlen, muß man des geschichtlichen Ganges der Gudrunsage gedenken. Die historische Grundlage der Gudrunsage ist gegeben in jenen Zügen und Raubfahrten wandernder Völker, wie sie an den Küsten der Nordsee vorkamen, wie sie im 5. Jahrhundert von den Sachsen und Angeln nach England, in dem 9. Jahrhundert von den Nordmännern unternommen wurden. Die wilde Streitbegier dieser scandinavischen Seefahrer ist auch in unserm Gedichte noch sichtbar, aber nur der Hintergrund des Gemäldes, während im Vordergründe die Personen stehen, denen ein tieferes Gemüthsleben und eine reichere Geistesbildung eigen ist. In dieser lezten Beziehung unterscheidet sich das deutsche Gedicht von Gudrun auch sehr wesentlich von den nordischen Sagen. Der Raub Hildes, welcher den zweiten Theil des Gudrungedichts bildet, ist auch in der nordischen Sage erzählt. In der Edda des Isländers Snorro, der seine Erzählungen åltern Liedern und Sagen verdankte, wird König Hedhin genannt, welcher

das Land König Högnis in dessen Abwesenheit bekriegte und die Tochter des Königs, Hilde, als Kriegsbeute entführt. Högni, den Räuber verfolgend, findet ihn auf einer Orkadeninsel. Hilde bittet vergeblich in Hedhins Namen den Vater um Frieden, wird aber abgewiesen und fordert nun selbst den Hedhin zum Kampfe gegen ihren Vater auf. Die Könige kämpfen des Tages, während sie des Nachts auf ihren Schiffen verweilen. Hilde aber wedt in der Nacht durch Zauberkunft die am Tage gefallenen Todten auf. „Daher dauerte der Kampf von einem Tage zum andern und die Lieder sangen, er solle dauern bis an den jüngsten Tag." Wie in der Völsungasage, so herrscht auch in der Sage von Hedhin und Högni ein unheimlicher Zauber; der Charakter der Hilde in unserer Gudrundichtung ist heiterer, menschlicher; die dunkle Zaubermacht ist ihr nicht eigenthümlich, auch wird ihre Weiblichkeit nicht durch die Rohheit befleckt, mit welcher die Hilde der Sage den Hedhin zum Kampfe gegen ihren eigenen Vater treibt. Der mildere und gebildetere Geist Deutschlands im 13. Jahrhundert nahm auch andern Gestalten der Sage einen großen Theil ihrer nordischen Rauhheit. Man kann zwar an dem Wate in unserer Dichtung die altnordische Natur nicht verkennen; er ist ein Riese mit der Kraft von 26 Männern und wie Hilde besigt er Zaubergaben; denn er hat die Arzneikunde, welche man im Norden für Zauberkunst ansah, von einem wilden Waldweibe gelernt, welches einem übermenschlichen Wesen gleich geachtet wurde; es ist der Charakter eines nordisch wilden Kämpfers', daß Wate selbst Frauen und Kinder nicht verschont; aber wie sehr ist doch in unserer Dichtung der nordische Barbar zum Träger von Ideen, wie der Vasallentreue und Gerechtigkeit, geworden, wie ist sein wilder Geist durch Humor gemilbert; ja der feinere Sinn einer christlichen Empfindung ist ihm nicht fremd geblieben; denn Wate leitet das Unglück auf dem Wulpenfande aus der Gewaltthat ab, daß er frommen Pilgern neun ihrer Schiffe genommen habe.

Wie Wate ist auch Horant eine Gestalt der nordischen Sage, welche aber in unserer Dichtung unter dem Einflusse der Minnedichtung sich verwandelt und vergeiftigt hat. Die Erwähnung des Meerliedes, welches nach den Worten unserer Dichtung Christen nicht wieder lernen könnten, es sei denn, daß sie es auf den wilden Fluthen hörten, erinnert an die bei den Normännern gebräuchlichen Kriegslieder; aber die hinreißende Macht, welche Horant durch seinen Gefang

auf Natur und Menschen ausübt, ift in unserer Dichtung ganz im Tone des deutschen Minneliedes. Nur in einem Zeitalter, in welchem die Poesie eine so ausgebreitete Verehrung und einen so fördernden Schuß an den Höfen der Fürsten fand, konnte die Dichtung die tiefen Wirkungen des Gesanges so reizend schildern. Auch in den Nibelungen finden wir Sänger, namentlich Volcker; aber der strengere Geist dieser Dichtung ließ es nicht zu, daß dem Gesange in seiner milden, veredelnden Schönheit eine so tiefe Wirkung verstattet werde. Vor allem aber beweist der vorherrschende Zug williger Duldung, der den Charakter Gudruns auszeichnet, den Einfluß jener christlichen Hingebung und Demuth, welche während der Zeiten der Kreuzzüge im Abendlande sich entwickelte. Dieser tiefere Sinn, der die ganze Dichtung durchdringt, ist namentlich in dem religiösen Grundsage vernehmbar, den Gudrun befolgt, daß Niemand fremdem Hasse mit Bösem lohnen solle (Str. 1595); er ist vernehmbar in der Anschauung, welche der Dichter von der menschlichen Sünde (Str. 914) und der göttlichen Gnade hat (Str. 1134,2. 74,2. 121,3.). Dieses Vorwalten des christlichen Sinnes drückt sich im ersten Theile der Dichtung, in der Geschichte Hagens, durch eine große Anzahl einzelner Züge aus; die drei Jungfrauen fürchten in Hagen einen wilden Zwerg oder ein Meerwunder heidnischer Art und beruhigen sich nicht eher, als bis sie erfahren haben, daß er von Christeneltern abstamme (Str. 75, 76); durch Gottes Gnade haben sie die Herberge auf der Insel (Str. 77); mit Gottes Hülfe besiegt Hagen die Greifen (Str. 94); die Jungfrauen, als sie von dem Grafen von Karadie und seinen Leuten àm Meeresufer wahrgenommen werden, erscheinen der Furcht derselben als wilde Meerweiber und sie werden erst beruhigt, als Hagen bei Gottes Güte bat, sie aufzunehmen und Chrifti Namen kühnlich nannte (Str. 109-113). Daher ist das Zeichen des Kreuzes von großer Wichtigkeit; an einem goldenen Kreuze, welches er auf der Brust trägt, wird Hagen erkannt; (Str. 147); in Kreuzesgestalt fleht Gudrun zum Himmel, als der Engel in der Gestalt eines Vogels als Christi Bote sich ihr ankündigt (Str. 1170). Dieser christliche Geist konnte die heidnischen Gestalten und Vorstellungen, welche in der Sage gegeben waren, nicht mehr ertragen; er milderte fie, wie man an Wate sehen kann; oder er wandekte fie um. Es ist eine Eigenthümlichkeit des germanischen wie des antiken Heidenthumes, bestimmten Vögeln die Gabe der Sprache und Weis

sagung zu verleihen: in der nordischen Sage versteht Sigurb die Sprache der Vögel; in unserer Dichtung sind diese Vorstellungen dem christlichen Sinne des Dichters dienstbar und von ihm umgewandelt worden. Der Vogel, welcher der Gudrun und Hildburg ihre nahe bevorstehende Rettung ankündigt, gehörte ursprünglich zu den Gestalten der heidnischen Sage *); in unserer Dichtung wird er zum Engel, ist er ein Bote Chrifti, ein „hehrer Gottesvogel" gehorcht er der Gudrun, als sie ihn in Christi Namen anredet (vgl. Str. 1167. 1171, 1. 1178, 3. 1179, 4). So sezt auch der heidnischen Erzählung von dem Berge Givers der Dichter eine christliche Gesinnung entgegen. Zu Givers in dem Berge, erzählt Wate (der Weise Str. 1131) eine Schiffermähre, die er von Jugend auf gehört habe, ist ein weites Königreich; da leben die Leute schön; der Sand auf des Wassers Grunde, mit dem sie ihre Burgen mauern, ist Silber, die Steine sind Gold; Armuth kennen die Bewohner dieses Reiches nicht (Str. 1128-1129). Diese Sage erinnert, wie bereits SanMarte bemerkt hat, an das unterirdische Reich des Alberich, Königs der Nibelungen, welche in hohlen Bergen die Schäße bewachen, und ist ein Erzeugniß des germanischen Heidenthumes und mit der andern vom Magnetberge verbunden, welche man vielleicht aus dem Herzog Ernst entlehnte. Vor dem heidnischen Geiste, welcher aus dieser Schiffermähre weht, mochte der Dichter erschrecken; er fährt daher in seiner Erzählung mit den bezeichnenden Worten fort: „die sich Christen nannten, sprachen ihr Gebet;" und erzählt, daß Gott ihrer Sünden nicht gedacht und sie nicht habe verkommen lassen (Str. 1133 und 1136). Daher wird in unserer Dichtung ganz im Geiste des mittelalterlichen Christenthums das klöfterliche Leben sehr hoch geachtet; nach dem Kampfe auf dem Wulpensande wird ein Kloster gegründet und Geistliche müssen singen und Messe lesen für die Seelen der Gefallenen (Str. 915–917).

Jener oben erwähnte Geist der Milde und Versöhnung, der in unserer Dichtung herrscht, tritt ferner hervor in dem Verhältnisse, in welchem Christen und Heiden zu einander gestellt sind. Der grimme Fanatismus, welchen in den ersten Kreuzzügen die Chriften gegen die Sarazenen bewiesen, war in dem 13. Jahrhundert schon einer mildern Stimmung gewichen und eine Persönlichkeit, wie Friedrich II., mochte

*) Vgl. San-Marte, Gudrun p. 267 und Grimm, deutsche Mythologie p. 386.

in dieser Beziehung nicht ohne Einfluß geblieben sein. Wolfram von Eschenbach ist in seinen Werken der Repräsentant dieser mildern Stimmung und will man diese in ihrem ganzen Umfange kennen lernen, so muß man das Ruolantsliet vom Pfaffen Konrad und Wolframs Willehalm mit einander vergleichen. Beide behandeln einen Kampf der Christen gegen die Ungläubigen. In der ersten Dichtung herrscht der ganze Ingrimm des religiösen Fanatismus. Die christlichen Kämpfer, Karl der Große mit seinen Paladinen, erscheinen als lautere Gotteshelden, ausgestattet mit allen Vorzügen, und Gott thut für sie viele Wunder. Die Heiden dagegen werden als übermüthig und vermessen, verrätherisch und gottlos geschildert, fie gehören in die Hölle und sind schon in ihrem Aeußern durch Häßlichkeit gezeichnet *). In einem Gespräche vor dem Kampfe kündigt Roland dem Heiden Adalrot an, er wolle seinen Leib den Vögeln des Himmels zur Speise geben **), während Turpin die Christen tröstet, daß ihre Leichname in geweihter Erde ruhen, und den Vögeln nicht werden zum Raube werden ***). Diese rauhe Religiosität ist in Wolframs Willehalm nicht mehr vernehmbar; in dieser Dichtung herrscht schon ein so viel milderer Geist, daß, wie sehr auch der christliche Glaube als allgemeine Wahrheit dasteht, doch eine Unterredung zwischen Terramer und Kiburg über Christenthum und Muhamedanismus möglich ist; ja Kiburg empfiehlt in einem Fürstenrathe den versammelten Kriegern Schonung der Heiden an: der erste Mensch, Elias und Henoch, Noah und Hiob seien Heiden gewesen und von Gott nicht verstoßen worden; auch die drei Könige Melchior, Kaspar und Baltasar seien nicht verdammt, während der Dichter des Rolandsliedes die fallenden Heiden der Hölle anheimfallen läßt. ****). Das Rolandslied kennt keine Verzeihung von Seiten der Christen gegen die Heiden; dagegen sagt Kiburg zu den Helden im Willehalm, was auch die Heiden ihnen zugefügt hätten, sie möchten bedenken, daß Gott auch denen selbst verziehen, die seinen Leib getödtet hätten †). Der Dichter des Rolandsliedes weiß an den heidnischen Kämpfern

*) Die einen beißen swarz unt ubel getan; cf. Grimm, Ruolantslied p. 223, 15. Von andern heißt es p. 273, 29: an dem rucke tragent si börsten sam swin. **) p. 143, 29: dinen botich gibe ich den himel vogelen.

***) p. 214, 23. wirne sculen den vogelen nicht zetaile werde.

****) p. 173, 24. da wuchs der helle ir gcwin.

†) Wolfram von Eschenbach herausgegeb. von Lachmann: Willehalm 306, 12. Archir f. u. Sprachen. VIII.

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