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ren, oder zwey Glaubensregeln. Der Zweck dieses Capitels aber ist, zu zeigen, dafs, was Bellarmin und andere römisch-katholische Schriftsteller über die heilige Schrift und die Tradition, über ihre Gleichheit und Unabhängigkeit als Glaubensnormen -betrachtet, gesagt haben, mit den Decreten und Canonen des Concils zu Trient übereinstimme. 1) Wenn nun die Tradition, mit deren Untersuchung wir uns jetzt beschäftigen, eine der Schrift gleiche Glaubensnorm ist: so dürfen wir nicht vergessen, dass alle andere Arten der Tradition, sie mögen nun Gesetze, Gewohnheiten, Ceremonien, oder was es seyn mag, ausser den Glaubenslehren betreffen, unerheblich und dieser Untersuchung fremd sind. Wir sind jetzt allein mit der Tradition beschäftigt, von welcher, in Verbindung mit der heiligen Schrift, die römische Kirche ihre Glaubensartikel, oder Glaubenslehren ableitet. Allein eben bey dieser Untersuchung kann der Ausdruck Tradition, ungeachtet seiner Beschränkung auf Glaubensartikel oder Glaubenslehren, doch noch in zwey verschiedenen Bedeutungen verstanden werden.

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Zuweilen, und in der That am häufigsten, bezeichnet Tradition, eine mündlich fortgepflanzte Lehre, doctrinam traditam. Zuweilen aber bedeutet Tradition, das Hülfsmittel, welches die Lehre verbreitet, oder die Art, wie die Lehre fortgepflanzt wird, (via, transmittitur doctrina). Doch sind im Allgemeinen diese beyden Bedeutungen, obgleich enge mit einander verbunden, und beyderseits auf die Lehre sich beziehend, leicht zu unterscheiden. Wenn z. B. der Cardinal Bellarmin, in der zuletzt angeführten Stelle 2) aus seiner Abhandlung von dem Worte Gottes, von einer allgemeinen Glaubensnorm spricht, die

1) Siche die angeführten Stellen Cap. I. Note 12 u. 13,
2) Siehe Cap. I. Note 12 u. 13.

zwey besondere Glaubensregeln in sich fasse, die heilige Schrift und die Tradition: so ist es offenbar, dafs, so wie die Schrift die schriftlich aufgezeichnete Lehre bedeutet, die Tradition hier die nicht aufgezeichnete Lehre bezeichne. Und Bellarmin hat wirklich selbst in dem 2ten Capitel desselben Buches ausdrücklich eben diese Tradition, doctrina non scripta genannt 3). Eben so finden wir, dafs in der Abhandlung: De ecclesia Christi, der erste Abschnitt über die Tradition, die Aufschrift hat: De Traditione, quatenus designat ipsam, quae traditur, doctrinam 4). Hier ist der Unterschied zwischen der Lehre, und dem Hülfs mittel deutlich bezeichnet. Allein in andern Fällen, wo der Ausdruck Tradition unerklart gelassen ist, müssen wir die Bedeutung desselben aus dem Zusammenhang schliefsen, und wir werden finden, dafs in den Decreten und Canonen des Conciliums zu Trient das Wort Tradition, ohne nähere Bestimmung, allgemein ausgedrückt ist, damit es sich selbst erkläre. Dessenungeachtet kann der Sinn derselben überall mit befriedigender Genauigkeit erwiesen werden, einige wenige Fälle ausgenommen, wo die Dunkelheit beabsichtigt zu seyn scheint.

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Wenn wir ferner den Ausdruck, Tradition, brauchen, nicht um die Lehrer selbst, sondern um ein Hülfsmittel der Lehre damit zu bezeichnen: müssen wir untersuchen, was für ein näher bezeichneter Ausdruck hinzugefügt werden mufs, um das Hülfsmittel genauer zu bezeichnen. Denn das blofse Wort Tradition, ohne nähere Bestimmung, kann wirk❤

3) Tametsi vero Traditionis nomen generale sit, tamen hoc ipsum nomen accommodatum est a theologis ad significandam tantum doctrinam non scriptam. De verbo Dei Lib. IV. cap. 2. p. 250. edit. Ingolst. 1587.

4) pag. 398.

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lich bedeuten, Uebertragung (conveyance), allein es läfst uns noch ununterrichtet, was übergetragen wird. Nun nimmt man aber an, dafs die doctrina tradita, d. h. die von den Aposteln nicht schriftlich hinterlassene Lehre, von den Kirchenvätern wäre aufgezeichnet worden; ihre Schriften müssen daher als eine Quelle (repository), der nicht schriftlich abgefafsten Lehre betrachtet werden. Man glaubt ferner, dafs die doctrina tradita wirklich von den Werken der Kirchenväter an, bis zu den Decreten der allgemeinen Concilien fortgepflanzt worden wäre, von welcher Zeit an diese als eine zweyte Quelle betrachtet werden. Allein da kein allgemeines Concilium vor dem vierten Jahrhundert gehalten worden ist: so werden die Werke der Kirchenväter allgemein wenigstens für die erste, wenn nicht für die Hauptquelle, gehalten. Und dafs man sie selbst als die Hauptquelle betrachtet, erhellet daraus, dafs man sich bey den Decreten der Concilien selbst, auf das Ansehen der Kirchenväter beruft, welches sogar bey den Decreten des Concils zu Trient geschehen. Daher hat der Cardinal Baronius, welcher in dem ersten Band seiner Jahrbücher der Kirche, die ersten Väter aufzählt, deren Werke, nach seiner Ansicht, das Hauptarchiv ausmachen, dieses Verzeichnifs mit der Bemerkung geschlossen:,,dafs die in den heiligen Concilien beschlossenen Gegenstände, eben dieselbigen waren, welche die Kirchenväter selbst, als unaufgezeichnet von ihren Vorfahren erhalten hätten, und schriftlich aufgezeichnet worden wären, damit sie desto richtiger der Nachwelt erhalten werden möchten 5). Der näher bestimmende Ausdruck nun,

5) Caeterum, quae in sacris Consiliis instituta, nec ipsa quidem. recens fuerunt inventa, sed quae et Patres ipsi a majoribus acceperunt sine scriptis, et, ut accuratius servarentur, scrip

welcher dem Worte Tradition beygefügt wird, wenn sie das Mittel einer fortgepflanzten Lehre bedeutet, stimmt mit des Baronius Darstellung überein, Denn in diesem Falle heifst sie die alte Tradition der Kirchenväter, (antiqua Patrum traditio), und so wird sie auch von dem Concil zu Trient genannt.

Die Rücksicht des Gebrauchs der Kunstausdrücke betrifft noch eine andere Bemerkung, das Wort Tradition, je nachdem es in der ein- oder vielfachen Zahl gebraucht wird. Wenn wir sprechen von göttlichen und apostolischen Traditionen welche im vorhergehenden Capitel erklärt worden sind, und wo gezeigt worden, dafs sie das sogenannte ungeschriebene Wort Gottes ausmachen 6) so verstehen wir offenbar darunter die nicht schriftlich aufgezeichneten göttlichen und apostolischen Lehren. Eine solche nicht schriftlich abgefafste Lehre ist daher eine Tradition. Das Wort Tradition aber, ohne einen Artikel, bezeichnet die ganze Hauptsumme derselben. Aber diese umfassende und vielsagende Bedeutung des Worts ist ganz unvereinbar mit der Natur der darunter begriffenen Gegenstände. Denn seit diese göttlichen und apostolischen Traditionen eben soviel göttliche und apostolischen Lehren sind: seitdem erhebt man ganz vorzüglich die Tradition zur Glaubensnorm 7). Auch Auch bedeuten in den Beschlüssen und Regeln des Concils zu Trient, die Tra

tis consignarunt. Baronii Anuales ecclesiastici, Tom. I. p. 418. ed. Antwerp. 1670, Fol.

6) S. Note 12. im 1sten Capitel, wo Bellarmin spricht von dem ungeschriebenen Worte Gottes und hinzusetzt: das heifst von den göttlichen und apostolischen Traditionen.

7) Es ist schon bemerkt worden, dafs Bellarmins viertes Buch, welches ganz von der Tradition handelt, die Aufschriat hat: Von dem ungeschriebenen Worte Gottes (de verbo Dei.

ditionen der Apostel (Traditiones Apostolorum) eben soviel einzelne Lehren, während Tradition, in der einfachen Zahl, die ganze ungeschriebene Lehre bezeichnet, (tota omuis doctrina non scripta).

In Rücksicht endlich der Ausdrücke: „,göttlich und apostolisch," wovon der erste, wie in dem vorigen Capitel gezeigt worden ist, von Lehren gebraucht wird, die Christus selbst verkündigt hat, während man den letzten auf Lehren anwendet, welche den Aposteln durch den heiligen Geist eingegeben worden, ist noch zu bemerken, dafs obgleich das Concil zu Trient deutlich zwischen diesen beyden Arten der Lehre unterschieden hat, vorzüglich in dem Decret, welches itzt unsere Aufmerksamkeit erfordert: so hat es doch den Unterschied des Gebrauchs dieser Beywörter göttlich und apostolisch nicht bestimmt. Und an andern Orten, wenn es eins von diesen Beywör→ tern braucht, bedient es sich des Beyworts apostolisch, als eines Gattungsbegriffs, der zwey Arten bezeichne. Und in der That eine passendere Benennung, als die, apostolisch, konnte den Traditionen nicht wohl gegeben werden. Denn apostolische Traditionen bezeichnen Lehren, welche weder ursprünglih von Jesu selbst verkündigt, noch später von dem heiligen Geist mitgetheilt, in jedem Falle aber Lehren sind, vorgetragen von den Aposteln 8).

non scripto). In der That mufs Tradition, als eine Glaubensnorm, nothwendig dem entsprechen, was man ungeschriebene Lehre, oder ungeschriebenes Wort Gottes

nennt,

8) In dem römischen Catechismus sowohl, als in der Tridentinischen Confessio fidei, sind beyde Arten auf gleiche Weise in dem Ausdruck apostolisch enthalten. Hierzu die Beylage Nro. VIH.

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