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trefflich dargestellt, hingegen Chemnitz, *) Chamier und Kortholt) den protestantischen Lehrbegriff würdig vertheidigt.

Beylage VIII.

(Zu Seite 24.)

Genauere Bestimmung des Begriffs der Tradition und ihrer verschiedenen Arten.

Da der Begriff der Tradition sehr vieldeutig ist, und man deswegen die verschiedenen Bedeutungen desselben entweder zufällig verwechselt, oder absichtlich vertauscht hat, dadurch aber grosse Dunkelheit und Verwirrung in diese Lehre gebracht worden ist: so ist es nothwendig den Begriff selbst, wie Herr Marsh mit Recht gethan, scharf und richtig zu bestimmen, dann aber auch diese Bestimmung streng festzuhalten und dadurch Licht, Ordnung und Harmonie über diesen verwickelten Gegenstand zu verbreiten.

Der Begriff der Tradition aber kann entweder formal oder materiell betrachtet, aufgefafst und bestimmt werden. Formal betrachtet, ist Tradition, als

8) Examen Concilii Tridentini, 'Genevae 1634. fol. p. 60-87. 9) Daniel Chamier in der Panstratia Catholica s. Controversia

rum de religione adversus Pontificios corpus opera Joanni Henrici Alstedii a. 1629. fol. libr. 8. capp. 14. 15. 16. p. 129— 134. der mit Scharfsinn, Gründlichkeit und Präcision die entgegengesezten Behauptungen widerlegt; so wie auch der verdienstvolle Christian Kortholt, in seinen Disquisitionibus Antibaronianis ed. Sebast. Kortholt, Philos. et Poesiae Prof. Lipsiae 1708. 4. Disquis. VII. De traditionibus non scriptis, p. 182-30g.

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Gattungsbegriff, Verkündigung, Mittheilung des Unbekannten überhaupt, kurz jede Art der Belehrung im weitesten Sinne des Worts. Materiell aber, in

Beziehung auf den Inhalt und Gegenstand des Mitgetheilten, zerfällt sie in die besondern Arten der dogmatischen, moralischen, exegetischen, ritualen und historischen Tradition, die man jedoch richtiger in die doctrinelle oder didaktische, welche die dogmati sche und moralische, und in die historische, welche die exegetische und rituale begreift, und wovon jene Classe hevristisch, d. h. neue, in der Schrift nicht befindliche Wahrheiten und Vorschriften mittheilend, diese aber (exegetisch) erklärend ist, weil sie das Vorhandene näher erläutert, es betreffe nun die Auslegung der Schrift, kirchliche Gebräuche, oder einzelne Handlungen und Begebenheiten, eintheilen sollte. 1)

Das System des Katholicismus, welches von der formalen ausgeht, und zu derselben zurückkehrt, giebt dadurch der Tradition eine Sphäre, die nicht nur Schrift und Tradition umfassen soll, sondern da sie nicht als geschlossen, sondern als eine fortdauernde Offenbarung betrachtet wird, das Gebiet derselben ins Unendliche erweitert. Welche Behauptung, welchen Satz gäbe es wohl, wofür man nicht aus den Concilien, Aussprüchen und Entscheidungen des Oberhauptes der Kirche von Papias bis auf das Tridentinische Concil herab, eine Autorität als Beweis und Quelle aufstellen könnte! 2) Und was ist nicht in der That

1) Gerhardi Loci theologici, T. II. c. XIX. p. 307. Note XX. ed. Cottae. Marheinecke christl. Symbolik, 2. Bd. S. 184-195. Beckii Commentarii historici decretorum religionis christ. 1801. cap. III. p. 127.

2) Chemnitii Examen Concilii Trident. Genev. 1634. p. 6o. Hic locus Pontificiorum latissime patet, complectens, quicquid

aus dieser unversieglichen Quelle abgeleitet worden! 3)

Auf diesem weiten, formalen Begriff, der nun die Schrift und Tradition umfasse, ist das katholische System, der Theorie nach, gebauet. So kunstvoll aber das Gebäude selbst errichtet ist, 4) so ermangelt es doch der inneren Festigkeit, weil es auf einem unhaltbaren Principe, der Annahme einer fortdauernden Inspiration sowohl, als der Unzulänglichkeit der heiligen Schrift beruhet, mit dem Sinken dieses locke

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tradit et servat Pontificia ecclesia, quod scripturae testimoniis doceri et probari non potest. Et vere est Pandorae pixis, cujus operculo omne genus corruptelarum, abusuum et superstitionum in ecclesiam fuit invectum. Quid enim non libebit fingere, admisso semel hoc postulato, non opus esse documentis et probationibus ex scriptura? Quem errorem refutabimus, si vetustas erroris, et errantium multitudo potest errori patrocinium parere?

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3) Peter a Soto, welcher mit auf dem Concilio zu Trient gewesen war, rechnet zu diesen Traditionen: Oblationem sacrificii altaris, unctionem chrismatis, invocationem sanctorum, merita operum, primatum romani pontificis, consecrationem aquae in baptismo, totum sacramentum confirmationis, elementa, verba et effectus sacramenti ordinis, matrimonii et extremae unctionis, orationes pro defunctis, enumerationem peccatorum sacerdoti faciendam, necessitatem satisfactionis etc. Und über die Natur und den Umfang der Tradition giebt er folgendes Criterium: Infallibilis est regula et catholica, quaecunque credit, tenet et servat ecclesia et in scripturis non habentur, illa ab Apostolis esse tradita; item, quarum observationum initium, auctor et origo ignoratur, vel inveniri non potest, illas extra omnem dubitatio. nem ab Apostolis traditas esse. S. Marheinecke I. I. Bd. 2. S. 196.

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Marheinecke 1.1. Bd. 2. S. 220–224.

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ren Grundes aber zugleich das ganze Gebäude selbst erschüttert wird. 5)

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In Rücksicht der verschiedenen Arten der materiellen Tradition, gehört, da unsere Untersuchung den Inhalt und Umfang der christlichen Glaubensund Tugendlehre betrifft, allein die sogenannte dogmatische, oder doctrinelle, auf Gegenstände des Glaubens und der Tugend sich beziehende Tradition hieher, die übrigen hingegen, die exegetische, rituale und historische, weil sie facta erzählen oder erläutern, fallen in das Gebiet der Geschichte. Auch ist bey der dogmatisch- materialen Tradition zu beachten, ob der Inhalt derselben in der Schrift enthalten ist, und mit derselben, wenn nicht den Worten, doch dem Sinne nach übereinstimmt, oder ob er von derselben verschieden ist und etwas Besonderes und Neues enthält. Imersteren Falle ist sie keineswegs eine neben der Schrift hinlaufende, an Belehrung und Hochschätzung derselben gleichzuachtende Quelle, sondern blofs eine historische der Schrift untergeordnete Nachricht, oder ein Zeugnifs von der Auslegung oder Anwendung der Schrift, über deren Gültigkeit und Gewicht allein die Grundsätze der ächten Hermeneutik, so wie die Critik der Geschichte entscheiden, und die noch die Kirchenväter des zweyten Jahrhunderts, ausser dem Kampf mit Häretikern, mit dem Ausdrucke, Tάνṛα σύμφωνα ταΐς γραφαῖς, 6) charakterisirend bezeichnen. Im letzteren Falle aber, wenn die dogmatische Tradition eine besondere und neue, der Schrift nicht eigenthümliche Lehre oder Vorschrift des Glaubens oder Handelns enthält, ist sie im engeren und streng

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5) Joh. 3, 15. 16. Hebr. 1, 1, 2. 1- 4. und oben Beylage

IV.

6) z. B. Irenaeus beym Euseb. Hist. Eccles. V. c. 20.

sten Sinne des Wortes, Tradition, nach dem System des Katholicismus. 7)

Nach den Grundsätzen desselben ist sie aber nicht allein eine von der Schrift verschiedene, neben derselben hergehende Quelle, sondern indem man die materiale Tradition mit der formalen verwechselt, als Richterin und Auslegerin sogar über dieselbe erhaben. Wie sich dieser hohe und umfassende Begriff von der Tradition gebildet habe, darüber verbreitet die Geschichte dieser Lehre das helleste Licht. Welche der Schrift fremde Lehren und Vorschriften aber, und in welcher Menge, aus dieser Quelle entsprungen sind, das beweisen die Vertheidiger derselben Baronius, Bellarmin, Canus und Becan. Mit Recht hat daher auch Chemnitz diese dogmatische Tradition für den Urquell und Inbegriff aller Irrthümer des katholischen Lehrbegriffs erklärt. ®)

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7) S. Marsh c. 2. Note 8. Primum decret. 4. Sess. Conc. Trid. von perspiciens hanc veritatem veneratur. Marheinecke II. S. 195–210. und Chemnitius in Exam. Conc. Trid. p. 61. Semper memoria repetendum est, statum disputationis Pontificiorum de traditionibus esse hunc: Scripturam non omnia, quae ad articulos fidei et ad dogmata pietatis pertinent, habere, sed multa, quae ad articulos fidei et ad dogmata pietatis necessaria sunt, suscipienda et credenda esse, sine scriptura, extra et praeter scripturam, ex traditionibus non scriptis, quae nullo scripturae testimonio probari possunt.

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8) Exam. Conc. Trid. p. 76. ex hoc loco de traditionibus tam ad fidem, quam ad mores pertinentibus sicut primum progressae sunt, ita hodie etiam defenduntur, corruptelae, abusus, superstitiones. Quae enim magis compendiaria posset excogitari licentia quidvis libere et impune fingondi in ecclesia, quam si ad omnia vel firmissima et clarissima ex scriptura, nudus traditionum titulus ita obvertatur,

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