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hält; so entstammt dem altgriechischen Dionysoskult das antike, dem christlichen Heiligenkult das heutige Theater.

Gewisse biblische Geschichten oder Legenden forderten im naiven Mittelalter geradezu zu dramatischer Darstellung in Wechselreden heraus. Waren diese anfangs wohl nur unter die Priester verteilt, so wurden allmählich auch Nichtgeistliche herangezogen, bis eine strengere Richtung in der Kirche die mehr und mehr verweltlichenden Spiele genannt: Mysterien (entstellt aus „Ministerien"), wenn sie Teile der Heiligen Schrift, Mirakelspiele, wenn sie Wunder von Heiligen, Moralitäten, wenn sie Sittenbegriffe allegorisch darstellten aus dem geweihten Raume verbannte. Statt jedoch dadurch diese Lieblingsunterhaltung des Volkes auszurotten, lieferte die Kirche sie so den Laien ganz aus.

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Hier und da mag vorübergehend noch die Stufenrampe vor der Kirchtür den Spielen als Schauplatz gedient haben, bald aber wurden die großen Höfe der Gasthäuser mit ihren umlaufenden Galerien die Zuschauerräume, ein schafottartiges Gerüst an einer Seite diente als Bühne. Diese Urform lag noch den Theatern zu Shaksperes Zeit zugrunde: die Schauspielhäuser glichen damals von außen niedrigen, oben offenen Türmen, an deren Mauern innen in mehreren Stockwerken überdachte Galerien sich so weit herumzogen, als die Bühne dafür Raum ließ.

Dramenstoff war allmählich die ganze Bibel, soweit sie erzählenden Inhalts ist, von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht, und ihre Erweiterung durch die Tradition von Märtyrern geworden. Die zahlreichen Einzelspiele gruppierten sich um die entsprechenden Kirchenfeste und bildeten Zyklen von mehreren Dutzenden von Stücken. Die Darstellung derselben lag in

English authors. 18. Lieferung. Ausg. B.

festen Händen, insofern sich die einzelnen Innungen an der Aufführung gewisser, meist mit dem betreffenden Handwerk in Beziehung stehender Spiele ein Gewohnheitsrecht erworben hatten. Die Handwerkerkomödie in Shaksperes Sommernachtstraum ist ein Zeitbild solcher Vorstellungen, die sich noch lange nach ihm unabhängig von der Kunstbühne und ihren Berufsschauspielern erhielten. Diese Dilettanten verzichteten sogar unter Umständen auf feste Bühnen und spielten auf fahrbaren Podien (ringsum offenen Rollwagen mit oder ohne Dach) in den einzelnen Stadtteilen nacheinander Stück um Stück ab.

Aus der Seele des ungebildeten und derben Volkes geboren, leisteten diese Volksspiele an Zeitwidrigkeiten und Plumpheiten natürlich Unglaubliches, doch entsprachen sie dem Verständnis und dem Bedürfnis des lustigen Altengland so vollkommen, daß selbst Shakspere in ernsten Kunstdramen diesem urwüchsigen Geschmack Rechnung tragen und durch Rüpel- und Narrenszenen Abwechselung bieten mußte, welche die einfachen Leute (groundlings) verlangten, die den Raum unseres heutigen Parketts (pit) auf Stehplätzen einnahmen. Zwischen diesen und den Inhabern der Logenplätze bestand oft ein gespanntes Verhältnis, und es mögen zuweilen nicht nur Worte zwischen ihnen hin und her geflogen sein, so daß es für Damen nicht ratsam war, das Theater wenn überhaupt anders als maskiert zu besuchen, wie denn auch in Frauenrollen nicht Damen auftraten, sondern Jünglinge. Auch auf der Bühne selbst waren rechts und links vorn Sitzplätze vorgesehen, auf welchen vornehme Herren während der Vorstellung mit aller Ungeniertheit tranken, Tabak rauchten, Karten spielten oder das Spiel kritisierten. Sogar ein Pranger im Pit war vorhanden, an welchem Taschendiebe, welche etwa während der Vorstellung

ertappt wurden, für die Dauer derselben unschädlich gemacht wurden.

Die Bühne selbst sprang weit in das Pit vor, so daß das Parterrepublikum sie auf drei Seiten umdrängte. Sie hatte hinter der nicht überdachten Vorbühne nur noch eine geringe Tiefe. Ihre Hinterwand bildete ein Gebäudeteil, in welchem die Ankleideräume der Schauspieler lagen und aus dem sie durch zwei Türen auftraten. Über denselben, nach vorn vorspringend und auf zwei Säulen ruhend, mögen die überdachten Plätze der Musiker gewesen sein. Zwischen den beiden Türen in der Hinterwand befand sich gewissermaßen noch eine kleine Bühne auf der großen, d. h. ein um einige Stufen erhöhtes, von zwei Säulen begrenztes, ein oder zwei Stockwerke hohes Gerüst, welches je nach Erfordernis als Turm, Balkon, Theater, Nebenzimmer, Thronestrade usw. gedacht werden mußte. Soweit die Bühne überdacht war, konnte sie durch einen sich seitlich teilenden Vorhang geschlossen werden. Gemalte Dekorationen waren unbekannt; damit war die Vortäuschung eines naturgetreuen Schauplatzes ausgeschlossen; der Phantasie der Zuschauer wurde also damals eine weit größere mitgestaltende Einbildungskraft zugemutet, als dies heutzutage geschieht. Einigermaßen zu Hilfe kam ihr, gleichsam Stimmung machend, die Wandverkleidung des Raumes hinter dem Vorhang, welche bei Trauerspielen aus dunkeln, bei anderen Stücken aus helleren Stoffen bestand. Die genaue Örtlichkeit gab zu Beginn jeder Szene eine vor dem Vorhang ausgehängte Tafel mit entsprechender Aufschrift an. Dieses einfache Hilfsmittel ermöglichte und erklärt es, daß der Schauplatz in Shaksperes Dramen so oft, leicht und schnell wechselte, ohne daß Pausen entstanden. Ein Souffleur

scheint nicht vorgesehen gewesen zu sein.

War die Bühneneinrichtung höchst einfach, so waren dafür die Kostüme, Rüstungen und Waffen der Darsteller recht ansehnlich und dem Charakter der Rollen entsprechend, ohne aber trachtecht oder zeitgetreu gewesen zu sein.

Da künstliche Beleuchtung nicht eingerichtet war, vielmehr das natürliche Licht von oben in den Raum hineinfiel, wurde natürlich nur bei Tage, in der Regel nachmittags, gespielt. Der Eintrittspreis betrug, je nach der Güte der Plätze, 1 Penny bis 1 Shilling. Eine Fahne auf dem Dache zeigte die Spieltage, ein dreimaliges Trompetensignal den Beginn der Vorstellung an. Die in jedem Akt beschäftigten Schauspieler traten schon zu Beginn desselben zusammen auf, zogen um die Bühne und warteten im Hintergrunde ihr Stichwort ab. An das Drama schloß sich oft noch ein grotesker Tanz der Clowns, worauf sich die Schauspieler zu dem üblichen Gebet für die Königin versammelten.

Der Versbau Shaksperes.

Soweit der Dichter nicht einzelne Abschnitte seiner Dramen in Prosa oder in Liedstrophen geschrieben hat, um entweder den Volkston nachzuahmen oder lyrische Stimmungen hervorzurufen, hat er sich überwiegend des reimlosen fünffüßigen Iambus zu zehn oder elf Silben. bedient, einer durch den Dichter Henry Howard, Earl of Surrey, aus der italienischen Dichtung in die englische eingeführten Verszeile, die auch seit Lessing im deutschen Drama zur Herrschaft gelangt ist und daher jedem Leser geläufig sein dürfte.

Diesen sogenannten Blankvers (blank verse) handhabt Shakspere nun mit ebenso großer Meisterschaft

wie Freiheit, so daß die Fälle zahllos sind, in denen er von dem Schema abweicht, sei es, daß er unvollständige Verse (mit weniger als fünf Hebungen) oder Verse mit einer größeren Silbenzahl (Sechsheber, Trimeter oder Alexandriner) einfließen läßt. Auch an

Stelle des Iambus verwendet er vielfach andere Versfüße, so Anapäste, Daktylen, Trochäen. Auch den Reim läßt er manchmal, besonders an wirkungsvollen Aktschlüssen, erklingen. Endlich durchbricht er vielfach den älteren Brauch, den Gedanken mit dem Verse anfangen und enden zu lassen, indem er an Stelle der schulmäßigen end-stopt-Verse freie run-on-Verse schreibt, in denen der jeweilige Gedanke noch in den nächsten Vers hinübergreift. Dadurch wird der Hauptton, welcher sonst regelgemäß auf der letzten betonten Silbe jedes Blankverses liegt, mitten in andere Verse hineinverlegt.

Daß er sich diese scheinbare Willkür im Versbau nicht aus Nachlässigkeit oder Unzulänglichkeit gestattet, sondern damit bewußt den Zweck verfolgt hat, die Monotonie des Fünfhebers aufzumuntern, bedarf wohl keiner ausdrücklichen Versicherung.

Auch mit den Worten selbst verfährt er, je nach dem Bedürfnis des Verses, oft frei, indem er sie hier kühn verkürzt (durch Apostrophierung oder Verschleifung), dort zu größerer als ihrer üblichen Silbenzahl in Prosa streckt.

Es würde zu weit und nur zu einer trockenen Aufzählung von lauter aus dem Zusammenhang gerissenen Versen führen, alle Einzelheiten seiner Behandlung der Verse aufzuzählen und durch Beispiele zu belegen, zumal in den Anmerkungen besondere Leseschwierigkeiten einzelner erleichtert worden sind.

Es wird dem Leser ausnahmslos gelingen, das Versmaß zu meistern, wenn er den Rhythmus der Prosabetonung der einzelnen Worte und Sätze einhält

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