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Wir haben schon in der Einleitung zu dem prosai-
schen Theile dieses Werks im Allgemeinen angedeutet,
wodurch das Gedeihen der neueren französischen Lite-
ratur gehindert oder befördert wurde.

Es ist vornämlich die poetische Literatur eines Vol-

kes, in der sich die Farbe einer Zeit abspiegelt. Das

Sittenverderbnifs, welches im 18ten Jahrhundert in

Frankreich herrschte, ist daher auch in den meisten

dichterischen Erzeugnissen dieser Periode sichtbar. Das

Schaffungsvermögen der Phantasie war abgespannt: mit

wenigen Ausnahmen traten daher nur poetische Tände-

leien, sklavische Nachahmungen früherer besserer Zei-

ten, oder Ausgeburten einer falschen Originalität her-

vor. Zu diesen Ausnahmen gehörten vornämlich die

Dichtungen von Voltaire ), Ecouchard Lebrun (S. 1)

und Delille (S. 44).

Da trat die Revolution ein. Die Begeisterung, wel-

che das Volk hatte, ergriff auch die Dichter, und einige
Oden und Hymnen (La Marseillaise) sind meisterhafte
Erzeugnisse. Aber bald wurde die Muse von dem Lärm
der revolutionären Gräuel übertönt und verscheucht: mit
André Chénier's (S. 124) letzten Versen war ihr Schwa-
nenlied gesungen.

In den darauf folgenden Zeiten, obwohl sie min-
der schrecklich waren, beschäftigten allein die Politik

1) Geb. 1694, gest. 1774. Verf. der Henriade, vieler Theater-
stücke etc.

und der Krieg die Franzosen, und der Sinn für Poesie war verloren.

Napoleon's Herrschaft konnte selbst durch Preise die französische Muse nicht völlig erwecken. Eine Tochter des Himmels, läfst sie sich nicht durch irdisches Gold reizen. Die poetischen Erzeugnisse des Kaiser thums sind im Allgemeinen kraft- und charakterlos.

Erst mit der Restauration erwacht die Dichtkunst in Frankreich durch C. Delavigne (S. 281), Lamartine (S. 389) und V. Hugo (S. 357) völlig wieder. Chateaubriand's Génie du Christianisme und das Werk der Frau von Staël de l'Allemagne waren dabei von grofsem Einflusse. Durch letzteres namentlich wurde der Trieb, sich mit fremder Literatur bekannt zu machen, angefacht. Heimkehrende Emigranten nährten ihn, und verschafften vornämlich der englischen und der deutschen Literatur Eingang. Dies wirkte auf die aesthetischen Ansichten der Franzosen. Ihre Poesie, vorzüglich die lyrische und dramatische, nahm einen anderen Charakter an. Es bildeten sich zwei Schulen: die Classiker und Romantiker. Jene dem Alten, Herkömmlichen starr anhängend; diese die beengenden Schranken der Boileau'schen Poetik durchbrechend, und in der Natur das Gesetz der Kunst suchend. Leider sind manche Romantiker, durch Ueberspanntheit und Verworrenheit, bald bis zur Formlosigkeit fortgegangen und nur V. Hugo's (S. 357) glänzende Erfolge haben den Romantismus den Sieg davon tragen lassen 2).

Die Franzosen theilen die Poesie in folgende Gattungen ein: I. lyrische, II. didaktische, III. epische und IV. dramatische Poesie.

Die lyrische Poesie hatte sich in unserm Zeitraume grofser Bereicherungen nach Inhalt und Form zu erfreuen. Das Lied ging von seiner Naivetät zur Lustigkeit, mitunter Frivolität, über. Boufflers (S. 19) ergötzte durch seine lyrischen Tändeleien, Désaugiers (S. 207) und Béranger (S. 322) erfreuten durch ihre Chansons, Mérimée (S. 461) mystificirte das Publicum durch seine Volkslieder. — Im Sonett sind SainteBeuve (S. 472) und A. Barbier (S. 479) ausgezeichnet.

2) Vgl. De la littérature française au dix-neuvième siècle. Par C. Desmarais. Paris, 1833. in 8.

Die Ode wurde zur gröfsten Vollkommenheit gebracht, durch E. Lebrun (S. 1), A. Chénier (S. 123), J. Chénier (S. 98), Rouget de Lisle 3), Chênedollé (S. 159), Pierre Lebrun *); Nodier (S. 196), V. Hugo (S. 357), Lamartine (S. 389), Mad. Tastu (S. 426) und Delphine Gay (S. 432). In der Elegie zeichneten sich aus: E. Lebrun (S. 1), Parny (S. 56), A. Chénier (S. 123), J. Chénier (S. 98), Millevoye (S. 213), Soumet (S. 309), Mad. Desbordes-Valmore (S. 348), C. Delavigne (S. 281), Lamartine (S. 389), Mad. Tastu (S. 426), Guiraud ), Delphine Gay (S. 432) und Alfr. de Vigny (S. 439). Von den neuern lyrischen Dichtern nennen wir noch: den Grafen Rességuíer 6), Emile Deschamps, Jules Lefèvre, Gustave Drouineau, Léon Halevy.

II. Das didaktische Gedicht wurde seiner Natur nach mehr von den Classikern als von den Romantikern bearbeitet. Namentlich in dem eigentlichen Lehrgedicht lieferte Delille (S. 44) Meisterwerke. Auch Fontanes (S. 61), Legouvé (S. 83), Daru 7), Gudin 8), Michaud 9), Millevoye (S. 213), Esménard (S. 244), Chênedollé (S. 159) und P. Lebrun (s. Note 4.) erwarben sich in dieser Gattung einen Namen. Als Satiriker der ernsten Art ist A. Barbier (S. 479) zu nennen; mehr spottend zeigten sich Barthélemy und Méry (S. 451). Viennet (S. 223) trug seine Meinung in Epi

3) Joseph Rouget de Lisle, geb. 1760, gest. 1832, Dichter und Componist der Marseiller Hymne, 1792.

4) Pierre Antoine Lebrun, Mitglied der französischen Akademie, geb. zu Paris 1785. Von ihm: Ŏde à la grande Armée. Paris, 1805. in 8., sur la Campagne de 1807 etc.

5) Baron Paul Martin Alex. Guiraud, Mitglied der französischen Akademie, geb. zu Limoux 1788. Von ihm: Elégies savoyardes. Paris, 1823. in 8.; Chants hellènes, Ebend. 1824. in 8. Poèmes et Chants élégiaques, Ebend. 1824. in 18.

6) Comte Jules de Rességuier, geb. zu Toulouse 1790. Von ihm: Tableaux poétiques. 4e édit. Paris, 1829. in 8.

7) Pierrre Antoine Noel Bruno Comte de Daru, geb. zu Montpéllier 1767, gest. 1829. Von ihm: La Cléopédie ou Théorie des Réputations littéraires. Paris, 1800. in 8. und L'Astronomie, poème en 6 chants. Paris, 1830. in 8.

8) Paul Philippe Gudin de la Brenellerie, geb. zu Paris 1738, gest. 1812. Von ihm: L'Astronomie, poème en 3 chants. Paris,

1801. in 8.

9) Joseph Michaud, Mitglied der französischen Akademie, geb. zu Bourg-en-Bresse 1771. Von ihm: Le printemps d'un Proscrit. Paris, 1803. in 18.; Se édit. 1827.

steln vor, in welcher Gattung vor ihm auch E. Lebrun (S. 1), Ducis (S. 33), A. Chénier (S. 123), Andrieux (S. 70), die Fürstin von Salm 10) und J. Chénier (S. 98) zu nennen wären. Die Fabel fand in unserm Zeitraum wenige Bearbeiter, und nur zwei: Ginguené 11) und Arnault (S. 140) zeichneten sich aus. Von den Epigrammatisten ist E. Lebrun (S. 1) der beste.

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III. In der epischen Dichtkunst ist die französische Literatur nie besonders glücklich gewesen. Auch aus unserm Zeitraum, obgleich in demselben diese Gattung viel bearbeitet wurde, lässt sich nur wenig Ausgezeichnetes nennen. In der poetischen Erzählung sind Boufflers (S. 19) und Andrieux (S. 70), in der Romanze und Ballade Mad. Desbordes-Valmore (S. 348) und V. Hugo (S. 357) die bedeutendsten. Das historische Epos wurde am besten von ParsevalGrandmaison (S. 235) und Barthélemy und Méry (S. 451), minder ausgezeichnet von Luce de Lancival 12), Victorin Fabre 13), Creuzé de Lesser 14), Baour-Lormian 15), Lucien Buonaparte 16), d'Arlincourt 17), Lamartine (S. 389), Viennet (S. 223) und Ancelot (S. 340). komischen Epos machten sich vornämlich Parny (S.

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10) Constance Marie, princesse de Salm-Dyck, geb. de Théis, geb. zu Nantes 1767. Es giebt mehrere Sammlungen ihrer Episteln, zuletzt Paris, 1831. in 8

11) Pierre Louis Ginguené, als Literar-Historiker berühmt, geb. zu Rennes 1748, gest. 1816. Von ihm: Fables nouvelles. Paris,

1810. in 12.

12) J. Ch. Julien Luce de Lancival, geb. zu Saint Gobain in der Picardie 1764, gest. 1810. Von ihm: Achille à Scyros, poème en 6 chants. Paris, 1805. in 8.

13) Mar. J. J. Victorin Fabre, geb. zu Jaujac 1785. Von ihm: La Mort de Henri III, poème. Paris, 1808. in 8.

14) Baron Auguste Creuzé de Lesser, geb. zu Paris 1771. Von ihm: Les Chevaliers de la Table ronde; poème. Paris, 1812. in 18., und die Fortsetzung desselben: Amadis de Gaule. Paris, 1813. in 18.

15) Louis Pierre Marie François Baour-Lormian, Mitglied der franz. Akademie, geb. zu Toulouse um 1772. Von ihm: L'Atlantide, ou le Géant de la montagne bleue, etc. Paris 1812. in 18.

16) Lucien Buonaparte, Prince de Canino, geb. zu Ajaccio 1775. Von ihm: Charlemagne, ou l'Eglise délivrée, poème en 24 chants, Londres, 1814. 2 Vol. in 4. (50 Thlr.); La Cyrnéide, ou la Corse sauvée, poème épique en 12 chants. Paris, 1819. in 8.

17) Vicomte Victor d'Arlincourt, geb. in der Nähe von Versailles, 1789. Von ihm: Charlemagne, ou la Caroléide. Paris, 1818. 2 Vol. in 8.

56), Gudin 18) und Barthélemy und Méry (S. 451) bekannt. Dagegen wurde in dieser Zeit die französische Literatur durch Delille (S. 44), Saint-Ange 19), Aignan 20) und Baour-Lormian 21) (S. Note 15) mit Uebersetzungen fremder Producte bereichert,

IV. In der dramatischen Poesie fand in unserer Zeit die gröfste Veränderung statt. Die Einheiten des Orts und der Zeit, welche von den älteren französischen Dichtern, und ebenso von den heutigen, sogenannten Classikern hartnäckig festgehalten und vertheidigt werden, wurden von den Romantikern völlig verworfen. Lemercier (S. 166) that durch sein geniales Werk Pinto hierin den ersten Schritt, den indessen erst die Dramen von V. Hugo (S. 357) und andern neueren Dichtern weiterführten. Im Trauerspiel sind als die besten Autoren zu nennen: Ducis (S. 33), welcher den Shakspeare einführte, J. Chénier (S. 98), Alex. Duval (S. 151), Legouvé (S. 83), die beiden Arnault (S. 140 und 143), Lemercier (S. 166), Raynouard 22) Jouy (S. 288), P. Lebrun 23), C. Delavigne (S. 281), Ancelot (S. 340), Liadières 24), Soumet (S. 309), Guiraud 25), Victor Hugo (S. 357), Alex. Dumas (S. 408), Frédéric Soulié 26), Pichat 27), Gustave Drouineau 28) und Alfr.

18) S. Note 8. Von ihm: La Conquête de Naples par Charles VIII, poème héroï-comique. Paris, 1801. 3 Vol. in 8.

19) François Fabiot de Saint-Ange, geb. zu Blois 1752, gest. als Prof. der röm. Lit. zu Paris 1810, übersetzte Ovids Metamorphosen. 20) Étienne Aignan, Mitglied der franz. Akademie, geb. zu Beaugency 1773, gest. 1824, übersetzte die Iliade.

21) Er übersetzte Tasso's befreites Jerusalem und den Ossian. 22) François Juste Marie Raynouard, beständiger Secretär der franz. Akademie, geb. zu Bilgnolles 1761. Von ihm: Les Templiers, Trag. en 5 A. Paris, 1805. in 8. etc.

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23) S. Note 4. Von ihm: Ulysse, Trag. en 5 A. Paris, 1815. in 8.; Marie Stuart, Trag. en 5 A. Paris, 1820. in 8.

24) P. Charles Liadières, Capitän im Ingenieur-Corps. Von ihm: Conradin et Frédéric, Trag. en 5 A. Paris, 1820. in 8.; Jean-sanspeur, Trag. en 5 A. Paris 1821. in 8.; Jane Shore, Trag. en 5 A. Paris, 1824. in 8.; Walstein, Trag. en 5 A. Paris, 1829. 8.

25) S. Note 5. Von ihm: Les Machabées, ou le Martyre, Trag. en 5 A. Paris, 1822. in 8.; Le Comte Julien, ou l'Expiation, Trag. en 5 A. Paris, 1823. in 8.

26) Von ihm die Tragödien: Romeo et Juliette (1828), Christine à Fontainebleau, Clotilde.

27) Von ihm: Léonidas, drame en 5 A. Paris, 1825. in 8. 28) Von ihm die Tragödien: Rienzi (1826), Françoise de Rimini (1830) etc.

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