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H. P. STURZ

DENKWÜRDIGKEITEN VON JOHANN JAKOB ROUSSEAU

ousseau war von mittlerer Größe, wohl und zierlich gebaut,

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leicht in seinem Gang, gefällig in seinem Anstand. Er behielt bis zum Anfang des Alters die Stärke und die blühende Farbe der Jugend, ob er gleich sein ganzes Leben hindurch mit schmerzhaften Steinkoliken geplagt war; sein Gesicht verkündigte Empfindung und Redlichkeit, und sein durchdringender Blick war durch eine offene Sanftmut gemildert, die Vertrauen zu seinen Sitten und zu seinem Herzen einflößte. Er war höflich ohne Zwang, und in seiner Armut gastfrei; an seinem häuslichen Mahl herrschten Unschuld und Freude, wie in der alten unverdorbenen Welt. Er drückte sich auch im gewöhnlichen Umgang bestimmt und warm über jeden Gegenstand aus; alles floß aus der vollen Quelle; alles war empfunden, selbst gedacht, nicht mit erborgten Blumen geschmückt, nicht mit Gemeinsätzen durchwässert, und seine Wissenschaft und Erfahrung war ganz mit seinem Geiste durchwebt. Er verachtete Schmeichelei und Spott, und hielt den literarischen Ruhm für ein so mittelmäßiges Verdienst, daß er den Bauer Kleinjogg, im Ernste, allen Schriftstellern vorzog. Wenn er auf seine Autorkriege kam, so war er übel mit sich zufrieden. „Ich hätte“, sprach er,,,schweigen sollen; denn ich merkte, daß mein Herz bitter wurde, und daß ich meine Ruhe verlor. Endlich ließ ich sie ruhig schimpfen und schreiben, und befand mich besser dabei. Zufriedenheit ist ein größeres Gut als irgendein Triumph. Zwei Zänker endigen immer damit, daß jeder auf seiner Meinung beharrt; es schmeichelt der Eitelkeit, eine Lanze zu brechen, aber es nicht zu tun, ist der Sieg der Vernunft. Die glücklichste Zeit meines Lebens war, als ich nur Bücher zum Zeitvertreib las, und von meiner Handarbeit lebte."

Er schätzte den Menschen, den Schriftsteller, den Weisen, nur wenn er einen entschiedenen Charakter besaß, insofern er eigentümlich handelte und dachte;,,denn", sprach er,,,nichts gedeiht, als was auf unserm Grunde hervorsproẞt; alles Fremde kömmt nur ärmlich fort." Er konnte darum die Völker nicht leiden, die sich ganz nach einem Muster bilden, und einer Herde ähnlich sehen. Er zog ihnen die geringsten Freistaaten vor, wo sich's der Mensch herausnimmt, sich von seinem Nachbar zu unterscheiden. Auch in Kleinigkeiten war er nicht wie andere. Er wollte sich üben, es auch im Großen nicht zu sein; er kleidete sich wie ein Armenier, nicht sowohl aus Hang zur Seltsamkeit, als weil er diese Tracht bequemer als unsere steifen Moden fand. Niemand wußte mehr die Herzen zu gewinnen; die größten Männer schätzten ihn hoch, aber er nannte sie nicht in seinen Schriften. Er rühmte sich ihrer Bekanntschaft nicht; er zog dafür seinen würdigen Landsmann Abauzit aus seiner Dunkelheit hervor, dessen sanfte, durch Wissenschaften aufgeklärte Seele seine ganze Zärtlichkeit besaß. Immer sprach er mit Wohlgefallen von dem würdigen de Luc, diesem herzhaften Verteidiger der Freiheit seines Vaterlandes.,,Er kann", sprach er,,,fehlen und irren; aber sein Herz ist rein wie die Unschuld." Nichts war ihm heiliger als die Freundschaft; und er nannte den großen Bacon selten, ohne mit einem tiefen Seufzer anzumerken, daß er gegen seinen Freund und Wohltäter, den Grafen Essex, geschrieben habe. Er hat fast immer unter Franzosen gelebt, aber er liebte dieses Volk nicht.,,Sie ertragen", sprach er,,,jedermann, solange man nicht an ihre Vergnügungen rührt. Ein System über die Gottesleugnung wird eher in Frankreich geduldet, als eine Kritik über ihren Gesang. Man hat mich nicht ermorden wollen, weil ich den Emil schrieb, sondern weil mir ihre Musik nicht gefiel."

Ob ihn gleich sein Vaterland auswarf, so war es ihm doch immer teuer. Von allen Zügen der griechischen Tugend hat ihn keiner mehr als Plutarchs patriotische Handlung gerührt, der eine

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kleine Richterbedienung in seiner Vaterstadt Chäronea dem Amte eines kaiserlichen Statthalters, und zwar unter dem Trajan, vorzog.

Unter den Neuern gibt es wenige Menschen, die er höher als den weisen Fénelon schätzte, wegen seiner heitern vernünftigen Tugend im Hofglück und im Leiden.,,Ich möchte lieber", sagte er oft,,,so eines Mannes Kammerdiener, als der erste Pair von Frankreich sein."

Rousseau war ein aufrichtiger Gottesverehrer. Ein Atheist könnte nach seiner Meinung zwar einem ehrlichen Mann ähnlich werden, aber auf seine Tugend sei nichts zu rechnen; ,,und darum ließ ich", setzte er hinzu,,,Wolmarn bei der ersten Versuchung fallen. Freilich ist die Tugend", fuhr er fort,,,ein beständiger Kampf, ein angestrengter unbehaglicher Zustand, aber dennoch gibt es auf der Erde für den Menschen keine andere Glückseligkeit. Physische Übel haben ihre Zwischenräume, die moralischen nicht; ein Lasterhafter wird unaufhörlich durch peinliche Vorwürfe gemartert. Wir sind im Grunde weder zum Guten noch zum Bösen geneigt. Die Zunge bebt in der Wage bei dem unverleiteten Menschen, aber das kleinste Gewicht reißt sie nieder, und ein unbedeutender Stoß entwickelt mächtige Leidenschaften." Wenn man seiner erlittenen Verfolgungen erwähnte, so sprach er:,,Man versicherte mich, daß wir in einer philosophischen Zeit, voll Nachsicht und Verträglichkeit, lebten; ich entdeckte bald zu meinem Unglück, daß Grausamkeit und Härte Hauptzüge unseres Jahrhunderts sind, und daß die gepriesene Menschenliebe nur ein leichter Firnis der Sitten ist1. Niemand

1 Wer, in einer goldenen Mittelmäßigkeit, unbemerkt durch das Leben schleicht, begreift Rousseaus Menschenfeindschaft nicht, oder findet sie übertrieben; aber lernt euer brüderliches Geschlecht an Höfen, lernt eure Nebenbuhler im Amt, im Verstand, im Glücke kennen, erhebt euch durch irgendein Verdienst, und glaubt in der Unschuld eures Herzens, daß man euch liebt und schätzt, weil man euch umlächelt und umarmt. Wenn endlich unter euch der Boden wegsinkt, durch freundliche Mörder untergraben — dann seht, wie sich eure Freunde retten, als

hat mehr Freunde besessen als ich; in der Verfolgung schwiegen sie alle, und ich wäre damals ohne Freund und ohne Verteidiger gestorben. Es kann sein, daß ich mich in meinen Schriften irrte. Ich wollte nicht lehren; ich wollte nur meine Meinung sagen. Aber das ertragen die Menschen nicht; sie glauben, daß man ihre Einsicht beschimpft, wenn man anders denkt als sie und rächen sich dann durch Haß und Ungerechtigkeit." Er übte sich in dem körperlichen Schmerz ohne Prahlerei zur Geduld, und gestand, daß keine Weisheit das physische Gefühl vernichte. Als er einst ganz niedergebückt unter Steinschmerzen am Feuer saß und halberstickte Seufzer ausstieß, rief einer der Anwesenden:,,Ist das nicht die leidende Tugend ?" -,,Nein," gab er lächelnd zur Antwort,,,es ist die leidende Natur. Schmerzen sind uns immer neu; man kann sich nicht daran gewöhnen. Jener ehrliche Mann wollte auf seinem Todbette unrecht erworbenes Gut wiedergeben, und sein Sohn, der gerne erben mochte, gab sich eine vergebliche Mühe, ihn durch die Versicherung zu beruhigen, daß es nur auf vierzehn Tage ankäme, um des Fegfeuers gewohnt zu werden." Am grämlichsten ward Rousseau, wenn man ihn um seine Zeit brachte.,,Ich werde", rief er oft,,,mich endlich in die Alpen retten. Man schreibt mir lange Briefe zu, denn ich liebe bekanntlich die Weitläufigkeit; man verlangt Empfehlungen an Große von mir, als ob ich zum Hofgesinde gehörte; andere bieten mir Geld an, als wenn ich von Almosen lebte; alle glauben, daß man ihnen ähnlich ist." Er schildert sich selbst am treffendsten in folgendem Brief an den Herrn von Lamoignon, den er im Jahre 1763 einer Gesellschaft von Freunden vorlas.

,,Imachten Jahre wußte ich den Plutarch auswendig; im zwölften hatte ich alle Romane durchlaufen. Daher kamen die Menge

vergiftetet ihr die Luft; wie eure Klienten euch für genossene Wohltaten anspeien; ertragt der Glücklichen stolzes, niedertretendes, erwürgendes Mitleid, und liebt die Menschen, wenn ihr könnt.

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