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Er führte zum Beispiel den Begriff vom Schönen und Gerechten des Platons an. Er kam auf das Glaubensbekenntnis des Vikars von Savoyen.,,Wenn ich auch", sprach er,,,die Wahrheit verfehlte, so hat mich doch diese Lehre getröstet, und ich kann sie durchaus nicht entbehren. Man muß sich entweder für einen Manichäer erklären, oder über das Rätsel der Freiheit die Augen zumachen." Über die Religion sind folgende Ideen aus seinem Munde gesammelt:,,Paulus zuerst, und nachher Augustinus, haben sich von der erhabenen Lehre ihres Meisters entfernt. Die Gleichnisse Christi und die Sprichwörter Salomons sind vortreffliche Stücke der Schrift; aber der Verfasser des Hohen Liedes würde sich wundern, wenn er wüßte, wie mystisch man ihn ausgelegt hat. Man könnte auf die nämliche Weise die Idyllen des Theokrits erklären. Der Grund, warum Predigten wenig fruchten, ist, weil weder ihr Ton noch ihre Sprache dem Begriff und dem Bedürfnis der verschiedenen Stände angemessen sind. Die Jesuiten kannten das menschliche Herz besser und stifteten geistliche Kongregationen für alle verschiedenen Klassen im Staat. Man will auf der Kanzel entweder überzeugen, oder rühren. Massillon und Bourdaloue waren für die erste Methode; ihnen gelang es, den Verstand durch ihre Schlüsse zu überwältigen. Heutiges Tages ist zu Paris Flechier das Predigerideal. Man will überreden, gefallen; es sind akademische Diskurse, voll edlen Ausdrucks und fein gesponnenen Witzes, der für den Haufen verloren geht."

Wenn Rousseau von der Geschichte sprach, so hat er oft wiederholt, daß nur die Geschichte der Freistaaten erzählt zu werden verdiene; „denn in einer Monarchie hängt immer eine Reihe großer Begebenheiten an einer Leidenschaft, oder zufälligen Richtung des unbestimmten Charakters des Fürsten. Die Geschichte von Frankreich liefert uns nur Karl V., Franz I. und Heinrich IV. von eigentümlichem Geist. Ludwig XIV. verdient die Vergötterung seiner Schmeichler nicht; aber er war

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ein Kenner großer Leute. Plutarch hat darum so herrliche Biographien geschrieben, weil er keine halbgroße Menschen wählte, wie es in ruhigen Staaten Tausende gibt, sondern große Tugendhafte und erhabene Verbrecher. In der neuen Geschichte gab es einen Mann, der seinen Pinsel verdient, und das ist der Graf von Fiesque, der eigentlich dazu erzogen wurde, um sein Vaterland von der Herrschaft der Doria zu befreien. Man zeigte ihm immer den Prinzen auf dem Throne von Genua; in seiner Seele war kein anderer Gedanke, als der, den Usurpator zu stürzen. Tyrannen, die im Blutvergießen, im Menschenquälen Wollust finden, sind Traumgeschöpfe der Dichter. Selbst Könige ziehen die Natur nicht aus, so sehr sie auch ihre Macht berauscht und ihre Schmeichler verderben. Als Oktavius unumschränkt regierte und keine Nebenbuhler mehr scheute, ward er gelind und gütig. Die Grausamkeit seiner Nachfolger war zum Teil eine Folge der Gärung der republikanischen Partei. So wie ihre Furcht dafür nachließ, ließ auch ihre Härte nach." Rousseau urteilte mit gleichem Scharfsinn über die Philosophen aller Zeiten: „Die Charakteristiks des Shaftesbury sind ein prächtiges Gebäude ohne Grund, und Bolingbrocke war ein witziger Sophist, aber er überredet niemand." Er bewunderte die Betrachtungen des Antonius, nicht sowohl ihres innern Wertes wegen, weil sie wenig Neugedachtes enthalten, sondern weil ein Kaiser die reine Moral von seinem Throne lehrte.,,Die Stoiker verdienen Ehrfurcht; ihr Ziel war die höchste Vollkommenheit. Sie gaben sich nicht, wie man irrig glaubt, für unumschränkte Beherrscher ihrer Empfindungen aus; sondern diese Kraft war in ihrem Ideal, das sie zu erreichen strebten. Je größer unsere Muster sind, je mehr erhebt sich unsere Tugend."

,,Richardson nimmt uns für seine Personen, als wären es unsere Blutsfreunde, ein; aber einige seiner Charaktere sind überladen und geziert. Grandison ist ihm durchaus mißlungen, weil er in einer Person den Weltgefälligen, Liebenswürdigen, und den Bie

dermann vereinigen wollte. Es kann sein, daß zuweilen so eine Mischung der Natur gerät; aber wegen ihrer äußersten Seltenheit kann sie, im Kunstwerk, weder Interesse noch Täuschung wirken. Wenige haben Geßnern an edler Einfalt und Wahrheit des moralischen Gefühls übertroffen. Corneille hat in manchen Stücken die Seelengröße der Römer erreicht; die Neuern bleiben weit unter ihm. Sie empfinden nichts; sie sind nur große Maler erkünstelter Empfindungen; und Voltaire führt diese Gattung an, er, der immer von der Toleranz sprach, und sie niemals ausgeübt hat." Rousseau hielt alle Akademien für eine unnütze Erfindung unserer Zeit.,,Sobald", sprach er,,,irgend ein Gedanke einer allgemeinen Reform in einem französischen Kopfe keimt, so entsteht der Plan einer Akademie. Gesetze, Ackerbau und Handel, alles soll in diesen Schulen gelehrt werden, und nicht durch Männer vom Handwerk, sondern durch betitelte Dilettanti. Aber die Büchergelehrten haben noch nie eine richtige Theorie erfunden; noch weniger sind ihnen die Schwierigkeiten und Vorteile der Ausübung bekannt; und sobald eine Akademie daraus wird, so verliert sich endlich der Gegenstand, im eitlen Gepränge der Formalität und im Geschwätze der Mitglieder. Jeder geschäftige Stand unter den Menschen sollte seine Lehrer und Gesetzgeber aus seiner eigenen Klasse nehmen. Eine vernünftige Mutter wird treffender, als Locke und Fénelon, von der Erziehung reden. Freilich erhebt sie sich nicht zum Allgemeinen; sie entwirft keinen vollständigen Plan: aber in einzelnen Fällen sind ihre Lehren vortrefflich." Man wird in diesen Urteilen die scharfe Richtigkeit seiner Begriffe und den angemessenen Ausdruck erkennen. Keine Betrachtung hielt ihn jemals vom aufrichtigen Geständnis seiner Meinung zurück; er hing an keinem System, an keiner Partei noch Sekte; er ging gerade auf seinen Endzweck los, und ergriff die Wahrheit, wo er sie fand oder zu finden glaubte, mit einer Art von Leidenschaft. Er setzte alles in Handlung, und wollte, daß sich jeder frage, nicht, was hast du

gelehrt? sondern, was hast du getan? und ist dir eine gute Tat gelungen? was ist dir noch übrig zu tun? Er wiederholte oft den Spruch des Alten: „Wenn du so viel Jahre verschwendest, um Weisheit zu lernen, wie viel Zeit bleibt dir denn zur Ausübung noch? Ich möchte", sprach er,,,ein Mitglied einer Akademie sein, wo jeder getreulich aufschriebe, was er Gutes und Böses täte." Man behauptete, daß es schwer sei, eigene Fehler zu erkennen. Aber Rousseau war nicht dieser Meinung; „denn sie drängen sich", sprach er,,,täglich um uns, und werden uns wie unser Hausgesinde bekannt." Einer seiner Freunde war auf einem Spaziergang gefallen, und wandte sich um, den Ort zu besehen, wo der Fall geschehen war. ,,Ist das nicht der Mensch ?" rief Rousseau.,,Erst begehen wir den Fehler, und dann überlegen wir bedächtlich, wie es zugegangen sei? Wir fragen uns dann, wie es möglich ist, daß wir, daß so vernünftige Männer, an dieser Stelle, straucheln konnten?" Als zu einer andern Zeit von der Bosheit und dem moralischen Übel in der Welt gesprochen wurde, antwortete er:,,Das Gleichgewicht erhält sich darum doch; denn was zehntausend Bösewichter verwüsten, können zehn gute Menschen wieder herstellen. Nichts verherrlicht den Weltregierer mehr, als daß der Mißbrauch unserer Freiheit den Wohlstand und den Zusammenklang im allgemeinen so wenig stört1."

Rousseau war nach Motiers Travers geflüchtet, weil in Paris der Fanatismus den Stab über ihn brach. Sein Emil ward durch die Sorbonne zensiert, durch den Henker zerrissen und verbrannt und durch Hirtenbriefe verflucht. Man spielte das ganze Possenspiel durch, welches in jedem Lande ein Buch berühmt und seinen Verfasser unglücklich macht. Rousseau war mit Gefängnis und Strafen bedroht, und wollte sich anfangs nicht retten; seine Freunde bewegten ihn mühsam dazu. Er sprach:,,Ich werde

1 Bis hierher gehen die Nachrichten aus dem Manuskripte meines Freundes. Der übrige historische Teil ist aus Erzählungen, Briefen und zuverlässigen Memoiren genommen.

ruhiger in der Bastille, als unter den Menschen leben." In der nämlichen Zeit wütete man auch in Genf gegen ihn, und der Senat beschloß, ihn einziehen zu lassen.,,Ich," sprach er,,,ein Bürger einer Republik, schrieb, in einem Freistaat, gegen die monarchische Verfassung und die Fabeln des Papsttums, und das Pariser Parlament verurteilte mich, als ob es über alle Menschen und alle Meinungen herrschte. Ein Erzbischof stieg auf seinen Thron und schleuderte seinen Bann auf einen Ketzer herab, der an seine Flüche nicht glaubt. In Genf, wo man weder Eigengewalt noch Papsttum duldet, ahmte man das Parlament und den Erzbischof nach; man verfuhr wie in einer despotischen Regierung, um einen freien Bürger zu unterdrücken.“ Er entsagte darum seinem Vaterlande und gab, in folgendem Brief an den ersten Syndikus, sein Bürgerrecht auf.

,,Endlich habe ich mich von meinem Erstaunen über das Verfahren des Rats erholt, und ich fasse den Entschluß, den mir Vernunft und Ehre gebieten, ob er gleich mein Herz empfindlich kränkt. Erklären Sie dem Rat in meinem Namen, daß ich auf ewig meinem Bürgerrecht in der Stadt und dem Gebiet von Genf entsage. Ich glaube, nach meinen Kräften, meine Bürgerpflichten erfüllt zu haben. Ich habe nie dafür einigen Vorteil genossen; also bin ich in keinem Rückstand gegen den Staat. Ich habe getrachtet, dem Namen eines Genfers Ehre zu machen. Ich habe meine Landsleute zärtlich geliebt, und ich wünschte von ihnen geliebt zu werden; aber keine Absicht ist mir übler gelungen. Auch ihrem Hasse will ich mich fügen. Das letzte Opfer in meinem Vermögen ist das Opfer eines Namens, der mir teuer war. Dennoch, mein Herr, mein Vaterland kann mir zwar fremd werden, aber es wird mir niemals gleichgültig sein. Ich bleibe mir ihm durch die zärtlichste Erinnerung verbunden, und ich vergesse nichts, als seine Beleidigungen. Möge seine Wohlfahrt ferner gedeihn, möge es einen Überfluß an bessern Bürgern, und die glücklicher sind als ich, besitzen!"

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