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die Geiger und Pfeifer vom Jubal, einem Enkel des gottlosen Kains, ihren Ursprung haben! Nun und nimmermehr einen Griff!" Und seit dieser Zeit hat man diesen wunderlichen Mann auch nicht wieder dazu bereden können.

Jomelli. Das ist das lächerlichste Beispiel, so ich noch gehört habe. Doch nein, ich kenne einen Mann von ähnlichem Schlage, der in seiner Jugend die vortrefflichsten, genievollsten Gedichte gesungen hat, und nun auf sie schimpft und mit der größten Verachtung auf sie herabsieht, als auf unnütze Spielereien seines noch unentwickelten Genies. Man hat ihm schon versichert, daß diese Gedichte ganz allein auf die Nachwelt kommen und die Enkel sie bewundern würden, wenn viele Folianten, die Geburten seines kalt gewordenen Kopfes, längst die Würmer verzehrt hätten! Allein sagen Sie um Himmels willen von unseren Gesprächen keinem Frauenzimmer etwas; sonst wird keine mehr singen wollen. Nun im Ernste zur philosophischen Betrachtung darüber!

Es ist nichts leichter, als aus Gewohnheit und Auferziehung einige mit Fleiß erlernte Akzente und Künsteleien auf Instrumenten für ein Produkt des Genies anzusehen: Man kann sich von einer einzigen auswendig gelernten Kadenz täuschen lassen. Ein scharfsinniges, genau aufmerksames Ohr wird dem Herzen gleich den Unterschied zwischen den wahren affektvollen, sentimentalischen und den erlernten und durch die Gewohnheit künstlich gemachten Akzenten sagen; die Bewegungen ihres Körpers werden ihren Akzenten noch weniger entsprechen als diese den Leidenschaften. Sie können rühren und vergnügen wie Nachtigallen. Allein nie werden sie Wut und Aufruhr, Entzücken und wollüstige Zärtlichkeit ins Herz, Zähren in die Augen und den Himmel in die Mienen tragen, wie die Faustinen und Cuzzonen, wie Farinelli und Porporo. Nein, das können sie nie! Hier müssen sie die Flügel sinken lassen; das kann allein das schöpferische Genie, und die dummköpfigen Virtuosen werden nie Durante

werden. Wenn dies ein Dummkopf konnte - dann gehab' dich wohl, Musik! Nie will ich eine Feder wieder ansetzen, denn du bist nicht mehr Kunst! Um komponieren zu können, braucht man kein Genie zu sein; dieses will ich dem dümmsten Jungen binnen zwölf Stunden lehren, die Noten von ein paar einzelnen Akkorden aufzusetzen, in Terzen und Sexten die Melodie fortlaufen lassen, auch ein paar Dissonanzen zu mischen, alles nach dem Takt und den mechanischen Regeln der Kunst; das ist so leicht zu erlernen als das Multiplizieren in der Rechenkunst, wenn es auch noch so hübsch klingt! Dieses kann ein Dummkopf bisweilen noch eher lernen als ein Genie! und leider hält man dieses mehrenteils, insbesondere in Deutschland, für den Beweis eines musikalischen Geistes!

Rousseau. Herr Jomelli, auch in Frankreich!

Jomelli. Und Ihre Herrn Kunstrichter halten in der Musik Versmacher und Poeten immer für einerlei! Und wenn der letzte einen schlechten Vers macht, der Gedanke mag noch so vortrefflich sein, so setzen sie den Versmacher über ihn. So machten sie es mit dem zärtlichen Filz und andern. Und Ihr großer Graun mußte in den vortrefflichen Sachen, die er für Sie machte, bisweilen diesem Geschmacke folgen. Einige Beispiele werden Ihnen davon aus seinem berühmten Tode Jesu bekannt sein. Von dem stabat mater unseres Pergolese müssen sie wider Willen nun sagen, daß es schön ist; allein sie fügen allezeit hinzu: die zwei Fugen übertreffen alles.

Rousseau. Und sie sagen doch beständig in ihrer Theorie von schönen Künsten und Wissenschaften: In der Musik übertreffen wir gegenwärtig alle Nationen; und die Toren haben noch kein lyrisches Nationalstück, keine Oper! Ihre Sprache schickt sich zur Musik, wie (das kann ich vor Bosheit über die Unverschämtheit dieses wunderlichen Mannes unmöglich übersetzen. Vom Herrn Jomelli ließe ich es mir noch gefallen; allein dieser macht es wahrhaft gar zu bunt). Ihre Tanzmelodien müssen sie sich von

Frankreich verschreiben lassen, und ihre Konzerte und Symphonien gleichen einander wie die Schuhe! (Es ist unausstehlich! Ich mag die Schimpfworte dieses Gallensüchtigen nicht abschreiben.) Allein - fährt er fort hilft die Mathematik der Musik nicht? Kann man sie nicht durch die Anordnung der Proportionen vervollkommnen?

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V

GIACOMO CASANOVA

́ielleicht möchte man jenen anderen Italiener, der sich zum

Grafen Cagliostro nobilitierte, als die reinere Verkörperung des Abenteurers ansprechen, da er im Abenteuer seines Lebens so sehr aufging, daß er weder Zeit noch Standpunkt finden konnte, über ein Leben zu reflektieren, wie es der alte Casanova tat. Aber die Kenntnis eines Lebens wie Cagliostros bringt nicht mehr, als man zuvor wußte: daß ein geschickter Schwindler immer die Dummen findet, die er braucht, um so zu leben, wie er leben möchte, d. h. auf Kosten der anderen wie diese anderen, als Graf, mit einem Palais, mit sicheren Einnahmen. Ein solches Ziel ist aber zu geringfügig, um Teilnahme zu wecken. Schon ein richtiger Graf und ein rechtmäßig ererbtes Palais und Renten sind keine Vorzüge von unbedingt menschlicher Bedeutung. Der Abenteurer im Stile Cagliostros ist ein Schwindler ohne Idee. Bestenfalles variiert ihn eine Zeit, zu deren Charakteristik er dann ein kleines Detail beiträgt, wenn seine Mittel und Tricks nicht ganz gewöhnlich sind, wie es bei dem Grafen von Saint-Germain der Fall war, der mit einigen kosmetischen Kenntnissen und charmanten gesellschaftlichen Gaben, die sogar sein Rivale Casanova bewunderte, etwas wie ein Schwindler wider Willen wurde. Man wollte es ihm einfach nicht glauben, wenn er erklärte, daß er nicht verjüngen könne, und da gab er als der Gescheitere, und weil er ganz gut dabei lebte, nach. Die Zeit kam ja solchen Scharlatanen außerordentlich entgegen. Sie venerierte sie mit einem Fanatismus des Glaubens, dem die Tyrannis der Philosophen das alte Objekt entzogen hatte. An Gott zu glauben war, da die Vernunft an seiner Statt regierte, fürder nicht mehr schicklich, aber das Bedürfnis nach dem Wunderbaren suchte seine Befriedigung. Casanova bedauert mit großer Offenheit, daß man ihn nicht habe Medizin studieren lassen, denn damit hätte er für seine Scharlatanerie weit mehr anzufangen gewußt als mit der Juris

prudenz. Die Schwindler haben im 18. Jahrhundert eine großartige Geste, aber sie korrigiert nur äußerlich die Banalität ihrer Idee, welche nicht die des Abenteurers ist, den man nicht daran erkennt, daß er oft auch die Mittel des Schwindlers gebraucht. Der Abenteurer hat etwas vom Narren und etwas vom Weisen. Er gibt dem Leben, das er ganz als seine Angelegenheit, als seine Schöpfung nur kennt, einen so hohen Wert, daß er es nie aus den Augen verliert, nie in fremde Hände gibt. Er ist immer der auf sich Aufmerksame, lebt mit dem Degen in der Hand. Und er gibt ihm wieder nicht den geringsten Wert - und hier scheidet er sich vom gewöhnlichen Imposteur da es ihn immer wieder treibt, sein Leben zu wagen. Er gibt keiner Situation die Dauer. Er verliert sein Leben, um es immer wieder gewinnen zu können, gewinnt es, um es sofort wieder ins Spiel zu werfen. Ja: wie der wahre Spieler, der nicht des Gewinstes, sondern des Spieles wegen spielt, so lebt der Abenteurer erst im Maximum der dramatischen Spannung wirklich, um derentwillen allein er alles unternimmt. Dafür macht er Verse, Gaunereien, Duelle, Gold, Reisen, Liebe. Nach keinem dieser Mittel läßt sich ein solches Leben bestimmen, denn keines wird Zweck. Der Abenteurer müßte wie der Soldat im Felde sterben, um seinen Sinn ganz zu behalten. Er darf nicht in Pension gehen, darf nicht wie der hübsche Buck Whaley nach fünfzig Jahren Abenteurer Hausherr und braver Familienvater werden. Und nur weil er seine Erinnerungen aufschrieb und so sein Leben zum andernmal lebte, übersieht man es, daß der alte Casanova in Dux eine komische Figur machte, daß er boshaft, kratzbürstig, rechthaberisch, eitel, gefräßig und kindisch wurde. Der Sinn seiner Existenz war in ihm noch lebendig, aber es half ihm kein Körper mehr, diesen Sinn aktiv machen. Also schrieb er.

„Der Leser wird aus meinen Erinnerungen ersehen, daß ich niemals ein bestimmtes Ziel im Auge gehabt habe, und daß das einzige System, das ich hatte - wenn es überhaupt eines ist

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