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kennen". Eingebildet ist er auf das, womit er seine Zeitgenossen nicht wenig gelangweilt hat: auf seine klassische Bildung, seine Homerübersetzung, seine Vergilkenntnis, seine Mathematik: ein ausgemachter Pedant stellt sich vor. Daß er die Quadratur des Kreises gefunden habe, hätte er, gefragt, auf dem Sterbebette sicher als den Zweck seines Lebens angegeben. Es ist das Zweigesichtige des Jahrhunderts, das auch diesem so robusten Menschen von Unten den rätselhaften Aspekt gibt, der allen Figuren dieser Zeit eignet. Er ist Pedant und Falschspieler, Zyniker, dem kein Bekenntnis schwer wird, und Empfindsamer, der über anderer Unglück Tränen vergießt. Rousseau steckt seine Kinder ins Findelhaus und traktiert über die Erziehung, Diderot baut die Enzyklopädie auf und schreibt die,,Verliebten Kleinode"; der ,,Geist der Gesetze" und der ,,Tempel von Gnidos" haben einen Verfasser. Der schwere Buffon tadelt ein Buch, weil man merke, daß es nicht auf den Knien einer Frau geschrieben sei. Jener Prozeß, der heute noch nicht zu Ende ist, hatte begonnen: die Auflösung der Form, einmal durch die Aufklärung, dann durch deren Folge, die Entdeckung des Gefühls. Die Anstrengung, die jeder einzelne sich geben mußte, seine Form gegen die auflösenden Feinde zu behaupten, förderte nur, was heimlich gegen die Form rebellierte, nämlich das Individuum. Die wirkliche Revolution, von der wir uns datieren müssen, war dreißig, vierzig Jahre vor 1789. Als Kind seiner Zeit war Casanova auch ein starker Ausdruck dieser Zeit: er bediente sich der Gesellschaft, um gegen sie zu leben; er nahm ihre Form auf sich, um sie sprengen zu helfen. Er war ein Rebell wie die anderen.

AUS BRIEFEN CASANOVAS AN J. F. OPITZ, DEN „PHILOSOPHEN VON TSCHASLAU“

Dux, den 10. Jänner 1791.

'ch schreibe,,mein Leben“, um was zu lachen zu haben, und

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vorübergehen, als wären es ebenso viele Minuten. Es ist ein großes Vergnügen, sich seiner Vergnügen zu erinnern. Aber welcher Schmerz, das mit den Schmerzen zu tun! Ich amüsiere mich, weil ich nicht erfinde. Was mir Mühe macht, ist die Pflicht, die Namen zu maskieren, denn ich habe nicht die Autorität, die Angelegenheiten anderer zu veröffentlichen.

Dux, den 11. Juli 1791.

Meine Gesundheit ist gut, und ich beschäftige mich mit „meinen Memoiren". Das dient mir als Erholung. Ich fühle mich jung und wie ein Schuljunge, während ich schreibe. Und breche oft in lautes Lachen aus, weshalb man mich für einen Narren hält, denn die Idioten glauben nicht, daß man allein mit sich selber lachen kann...

Was,,die Weisheit" anlangt, so weiß alle Welt worin sie besteht.,,Weise" und,,Philosoph" sind Synonyma, und darum muß ich lachen, als Sie mir den Titel,,Philosoph" gaben. Denn ich bin nämlich gar nicht,,weise", aber halte mich für einen honnête homme. Der Philosoph ist der homo justus, der alles, was man Vorurteile" nennt, unter die Füße gebracht hat. Das ist alles. Seine Devise ist, was Epiktet aus dem Griechischen übersetzt hat: Sustine et abstine. So bin ich nicht, und so war ich nicht. Ich habe niemals verziehen, außer wenn ich die Beleidigung vergaß; ich bin wütend, daß man die Geduld unter die Tugenden zählt; ich pfeife aus Gourmandise auf die Interessen meines Magens. Wie soll ich nicht lachen, wenn man mich einen Philosophen nennt? Der Mensch, der nicht, koste es was es wolle, imstande ist, sich

glücklich zu machen, ist weder,,weise“ noch ein „Philosoph“, so gescheut und gelehrt er auch sein mag. Scire ist nicht sapere.

Oberleutensdorf, den 20. Februar 1792.

Je weiter,,meine Memoiren" fortschreiten, um so überzeugter sehe ich mich, daß das Werk zum Verbrennen gemacht ist. Woraus Sie sehen, daß es sicher nicht das Licht erblicken wird, solange ich Herr darüber bin. Es ist von einer Art, über die der Leser die Nacht versäumt; aber der,,Zynismus“, den ich hineingegeben habe, ist übertrieben und überschreitet die Grenzen, welche Brauch und Sitte der Indiskretion gesetzt haben. Aber Sie ahnen nicht, wie sehr mich da das unterhält. Ich habe ohne zu erröten wahrgenommen, daß ich mich mehr liebe als irgendwen. Aber bemerken Sie auch, daß ich darüber erröte, nicht rot zu werden; und diese zweite Erubeszenz rechtfertigt mich mir selber gegenüber, und um die andern kümmere ich mich nicht. Sed metuo, ne cui de te plus quam tibi credas. Ich sage alles und schone mich nicht, und doch kann ich als Ehrenmann meinen Memoiren nicht den Titel Bekenntnisse geben, denn ich bereue nichts, und ohne die Reue, wissen Sie, kann man nicht absolviert werden. Sie könnten glauben, daß ich mich rühme? Durchaus nicht. Ich erzähle der Luft, um was zum Lachen zu haben, mihi scurror, sagte Erasmus.

Teplitz, den 27. Juli 1792.

Da Sie sich für „meine Memoiren" interessieren, muß ich Ihnen sagen, daß ich am Ende meines zwölften Bandes halte, im Alter von siebenundvierzig Jahren, das heißt im Jahre 72 dieses Jahrhunderts. Aber ich muß Ihnen auch sagen, daß ich höchstwahrscheinlich Auftrag geben werde, es in meiner Gegenwart zu verbrennen, wenn ich durch eine Krankheit zu Tode kommen sollte, die den Menschen traurig und vom Leben angeekelt macht. Das wird nicht passieren, wenn ich das Glück haben sollte, in

guter Laune zu sterben, das heißt plötzlichen Todes, vor dem Gott Sie bewahre, wenn Sie in der Sache anders denken als ich. Mein seliger Freund, der Graf Max von Lamberg, konnte den Gedanken nicht vertragen, daß ich meine Erinnerungen verbrenne, und da er mich zu überleben glaubte, überredete er mich, ihm die ersten vier Bände zu schicken. Aber nun hat seine schöne Seele seinen Leib verlassen ... Um noch von meinen Erinnerungen zu sprechen. Ich bin nicht von der Sekte des Diogenes. Aber trotzdem ist der,,Zynismus" so übertrieben in allen Details meiner allzulebhaften Abenteuer bis zu meinem fünfzigsten Jahr, daß mein Leben ein Werk sein wird, dessen Lektüre man überall verbieten wird, wo man auf gute Sitten Wert legt. Ich bin ein detestabler Mensch; aber ich lege keinen Wert darauf, daß man das weiß, und ambitioniere nicht auf die Ehre, daß mich die Nachwelt verachtet. Mein Werk ist voll vortrefflicher moralischer Instruktionen. Aber wozu taugt das, wenn die reizenden Beschreibungen meiner Sünden die Leser mehr dazu aufregen, sie zu begehen als zu bereuen? Was ich Ihnen hier sage, ist wahr. Außerdem werden die instruierten Leser die Namen aller Frauen und Männer, die ich maskiere, erraten, und die werden sich gegen mich wenden und gegen die Perfidie meiner Seele, trotzdem in meiner Geschichte nur die lauterste Wahrheit zu lesen ist.

Mein,,Zynismus" hat übrigens keine Verwandtschaft mit dem irgendeines alten priapischen Dichters. Aber denken Sie sich einen,,Portier von Chartreux", eine,,Therese Philosophe", eine ,,Aloysia Sygaea" und Schlimmeres noch. Und dann sagen Sie mir, ob ich verbrennen soll oder nicht.

Teplitz, den 15. April 1793.

Erlauben Sie, daß ich Ihnen etwas sage: damit mir unser Briefverkehr Vergnügen macht, haben Sie es nicht nötig, lateinische Zitate zu suchen. Inkommodieren Sie sich nicht mit Zitieren, ich mag Sie auch ohne das. Seien wir wahrhaft und ehrlich in

dieser Welt und begnügen wir uns, unsere eigene Ware zu schikken, sicher, daß wir ihren Wert verantworten können. ... Dazu, daß Sie sich von italienischen Obizzos abstammend wähnen und ich Ihnen beim Aufsuchen dieser Ihrer vermeintlichen Familie durch meine italienischen Beziehungen helfen soll, sag' ich Ihnen, daß es noch einen Marquis Obizzo gibt; er ist heute dreißig Jahre alt, immens reich und wohnt in einem Schloß Catayo, sieben Meilen von Padua. Er wurde nach Rousseau erzogen, zieht die Freiheit der Heirat vor und begräbt man ihn, so ist es mit der Familie Obizzo aus. Haben Sie authentische Papiere, daß Sie sein Verwandter sind, so fahren Sie hin, stellen sich vor, und er wird Sie gut aufnehmen, denn ich kenne ihn persönlich. Er hat Geist. Und wenn er kann, wenn er will, macht er Sie zu seinem Erben. Sie finden bei ihm seine Bastardkinder, einen Serail, eine Menagerie, ein Arsenal, eine Bibliothek, ein naturwissenschaftliches Kabinett und, was die Hauptsache ist, einen vortrefflichen Tisch. Aber statt an ihre Aszendenz zu denken, rate ich Ihnen besser, sich um Ihre Deszendenz zu bemühen. Die wirkliche,,Noblesse" hängt nur von uns ab.

Teplitz, den 20. Juli 1793.

Was meine Erinnerungen betrifft, glaube ich, ich lasse sie dort stehen, wo sie stehen. Denn von meinem fünfzigsten Jahr ab habe ich nur Trauriges zu berichten, und das macht mich traurig. Ich habe sie nur geschrieben, um mich mit meinen Lesern zu erheitern; jetzt würde ich sie nur belästigen, und das ist nicht die Mühe wert.

Dux, den 4. Oktober 1793.

Ich hüte mich, Ihnen Lateiner zu zitieren, damit Sie nicht das gleiche tun. Sie tun es aber doch, und das mißfällt mir sehr. Sooft Sie Horaz zitieren, verhunzen Sie die Verse oder irren sich in dem, was sie sagen. Zitieren Sie richtig, werter Freund, oder gar nicht, und hüten Sie sich besonders, französische Verse zu

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