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VIVANT DENON

Is die Lady Morgan von ihrem Besuche bei dem alten Herrn

Abd

Denon nach Hause kam, notierte sie in ihr Reisejournal: ,,Die Gewohnheiten seines Lebens gestatten ihm nicht, für irgend etwas Partei zu ergreifen“, und die Dame hat mit diesem Urteil in der Tat den Charakter dieses Dilettanten umschrieben. Es kommt auf den Standpunkt an, ob man die glückliche Art dieses Lebens auf einen Vorzug oder auf einen Mangel in seiner Natur zurückführt, es bewundert oder bedauert. Wir haben das menschliche Maß von der größten menschlichen Anstrengung genommen, vom Helden oder vom Heiligen. Wir nennen Leben das, was Entfaltung größerer Energien ist als jener, die wir unmittelbar zur beiläufigen Erhaltung dieses unseres Lebens brauchen. Wo der Aufwand von Kraft gerade zur eigenen Behauptung hinreicht und kein das Gleichgewicht der Persönlichkeit immer störender Überschuß sichtbar wird, das lassen wir nur sehr bedingt als Leben gelten und sind geneigt, das Glück eines solchen Lebens nicht hoch einzuschätzen, weil es keinerlei Opfer in sich schließt, sich selber nur bedeutet und nichts abgibt an das Ganze der Menschheit, sei es durch ein Gefühl, durch eine Tat, durch eine Idee. Die Worte, mit denen wir einen solchen Menschen bezeichnen, haben alle kein positives moralisches Vorzeichen: Amateur, Egoist, Dilettant etwas wie ein Vorwurf und eine leise Verachtung ist darin. Es ist, als ob uns die Narrheit lieber wäre, die einen Menschen in Verblendung über seine Art zu Dingen treibt, denen er mitnichten gewachsen ist. Wir möchten, daß er sich mit einer Narrheit bloßstelle, damit wir schneller mit ihm fertig werden, wenn kein Erfolg seiner Narrheit recht gibt. Das nur auf sich bezogene Leben ist im einzelnen nicht angreifbar, darum stellt sich Vorwurf und Verachtung gerne gegen sein Ganzes. Daß einer sich vom Erleiden des Lebens ausschließt, ärgert die Menschen schon dort, wo einer sein Leben verbirgt,

und so tut (aus Scham, aus Haltung), als erlitte er nicht. Die Menschen möchten, er soll schreien und Wunden zeigen wie sie. Und erleidet gar einer das Leben nicht oder nicht in ihrem Sinne, dann sagen sie: er lebt nicht. Ein Wahres liegt am Grunde. Denn alles Große kommt aus dem Schmerz des Lebens. Nur daß wir nicht einig darüber sind, was das Große, was der Schmerz und was das Leben ist.,,Sie müssen in Ihrer Jugend viel gelernt haben, nicht wahr ?" fragte die Lady Morgan auch, und Denon sagte:,,Im Gegenteil, Milady, ich habe nichts gelernt, denn das langweilte mich. Aber ich habe viel gesehen, und das amüsierte mich. Davon war mein Leben ausgefüllt, und ich habe es viel genossen." Denon sah das Große so oft in seinem Glanze und ins Dunkel sinken, sah den Schmerz in Lachen und Gelächter verfallen, sah Leben von Leben verdrängt und abgelöst eine Wertung von der andern; er sah und lebte als Zuschauer — was anders hätte er tun sollen? Er stand im Kugelregen der Schlachten, aber machte sich kein Heldentum daraus, und so in allem andern: er war und blieb ein menschlicher Mensch, denn keine Leidenschaft übertrieb ihn nach einer Seite hin. Aber das gerade ist vielleicht unmenschlich. Dinge nehmen, wie sie sind, heißt sie verstehen; aber wir mögen uns beim Verstehen nicht beruhigen, denn sie zu leben, sagen wir, ist besser. Doch dann tragen uns auch schon die Dinge mit sich fort, hinauf, hinunter. Denon gab von seinem Leben an die Dinge nur so viel, was er gerade ohne Gleichgewichtsstörung seiner Person entbehren konnte. Leidenschaft, die sich vergißt, war nicht in ihm. Er besaß den subtilsten Sinn des Lebens: Geschmack. Er besaß und erwarb diesen delikaten Takt für das, was uns wohltut, und für das, was uns verletzt, in einer Zeit, die gerade diesen Sinn wie keinen andern ausgebildet hatte, im Rokoko. Und behielt ihn und lebte danach bis in die Zeit der Restauration. Ludwig dem Fünfzehnten gefiel Denons Art, Geschichten zu erzählen, so gut, daß er ihn zum Gentilhomme de la chambre du Roi machte. Das blieb

er, wie immer er auch die Titel und die Herren wechselte, was ohne jeden Zynismus geschah, wie man, an Talleyrand erinnert, denken möchte, der ja sein schnüffelndes Gesicht in alles mischte, weil er es nicht schmutzig genug haben konnte. Denon änderte sich in keine geänderten Verhältnisse hinein und erkaufte sich keine Vorteile, denn was er haben wollte, das hatte er schon immer und war zudem in keinem Preise: Freiheit, zu leben nach seiner Fasson. Gerade damit gefiel er und gewann er. Gefiel den Männern und gewann die Frauen. Als die Revolution ausbrach, war er Gesandter in Neapel und radierte in Rembrandts Art merkwürdige Blätter, deren bekannteres jenes Bildnis Voltaires ist, das er von einem Besuch in Ferney mitbrachte: Voltaire, dürr wie ein Skelett, in dem nur die Augen und der Mund ein übermäßiges Leben haben; Nachtmütze und Schlafrock und Culotte. Als Denon hörte, daß er auf der Emigrantenliste stehe und seine Güter sequestriert seien, reiste er sofort nach Paris, wo sich David seiner annahm. Er bekam sein Eigentum wieder und den Auftrag, die Kostüme der neuen Herren zu entwerfen. Er zeichnete auch ihre Träger, heimlich in seinen Hut, während der Sitzungsstunden des revolutionären Tribunals. Die Bildnisse sind ganz Ausdruck, gar nicht vom Stil der Zeit berührt. Bei Talleyrand traf er den General Bonaparte, dem er gefiel. Der Josephine nicht minder. Denon war fünfzig Jahre alt, als er Napoleon nach Ägypten begleitete, als Zeichner. Zwei Jahre später wurde er Generaldirektor der Museen und füllte den Louvre mit den Schätzen, die er den Besiegten abnahm. Er war ein Galeriedirektor zu Pferd und mitten in den Schlachten. Bei Eylau holte ihn Napoleon selber aus platzenden Granaten heraus 1815 tat der Direktor, was er konnte, um dem Louvre möglichst viel von dem zu erhalten, was die Alliierten zurückverlangten, aber er rettete nichts. Mit dem letzten Bilde, das die kaiserliche Sammlung verließ, reichte er seinen Abschied ein. Er war siebzig Jahre sein Bild aus der Zeit, von Prud'hon gemalt, kann man im Louvre sehen und

hielt nun als einer, der in vier Zeitfolgen gelebt hatte und sich mit bester Laune in die fünfte fand, Hof in seinem kleinen Hause am Quai Voltaire, das er sich zu einem Museum eingerichtet hatte, dessen kuriosen Katalog er leider nicht, wie er wollte, geschrieben hat. Er zeigte da seinen illustren Gästen auch ein Reliquiarium aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Vom Heiligen enthielt es nichts mehr, aber: etwas Asche der Heloise aus dem Grabe im Paraklet, ein Stückchen vom Leibe der Ines de Castro, einige graue Barthaare Henri IV., Knochen von Molière und Lafontaine, einen Zahn Voltaires, eine Locke des Generals Desaix und einen Tropfen vom Blute des Kaisers. Die Echtheit dieser Dinge wird Denon nicht viel gekümmert haben, denn sie waren ihm mehr sichtbares Zeichen für das, was er liebte: Schönheit der Frauen, Tapferkeit, Heldentum, Geist, Gedicht und Gedanke. Was eine zufällige Begabung von seinem Leben abgetrennt hatte, das hielt er gering: seine Radierungen, die etwas frei im Sujet, aber sehr meisterlich in der Technik sind, seine kleinen Komödien, die er zur Zeit der Pompadour für seine Freundinnen vom Theater schrieb, und diese beste Novelle der Zeit: Point de Lendemain, die er Dorat schenkte, der drei seiner albernen Bücher damit aufputzte. Er wußte, das Kunstwerk seines Lebens war allein seine wirkliche Leistung. Der Ruhm war vielleicht das einzige, vor dem er Ekel spürte, denn er hatte zu oft gesehen, wem er zur Beute ausgeliefert wird.

Denon genoß, was ihm das Leben gab; aber er gab dem Leben nichts, er hob es um nichts. Er schaute, traf seine Wahl, ordnete und spazierte darin wie ein Fürst inmitten seines Hofstaates. Sein Verstand war zu fein, als daß er ihm irgend etwas aufgezwungen hätte. Er verachtete nichts, denn es ist in der Verachtung schon Leidenschaft, die über sich hinausträgt. Er liebte mit seiner Intelligenz. Sein Leben blieb unverwirrt, weil das Leben verlor.

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