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das Zwecklose der Gefühle war ihre Existenz. Sterne war dessen literarischer Meister.

Alles, was in Sterne nicht sentimentalisch ist, beweist, daß er nicht einem Wesen der Zeit erliegt, wo er sentimentalisch wird, sondern daß er sich bewußt daraus den Charakter bildet, den man einmal verlangt und den man haben muß.

Man kann, gewiß, kein Wort für die ethische Bedeutung Sternes sagen, und das Außerordentliche seiner Geistigkeit soll nicht in eine Tugend gewendet werden. Aber deshalb ist er noch immer kein humoristischer Schriftsteller und schon gar nicht ein sehr witziger Schriftsteller. Gewiß: er kann nicht sublimieren, und seinen Menschen fehlt die mystische Atmosphäre. Er hat gar kein besonderes Erbarmen mit ihnen, sieht kein Rätselhaftes in ihnen, ist ganz ohne Religion. Er ist ein genialer Verstand, den das Denken der Menschen beschäftigt, nicht ihr Tun. Die Luft in seinen Büchern ist ganz dünn, wie er sie braucht, um so Feines, so Schnelles wie das Denken zu zeigen. Daher ist das Tempo dessen, was vergeht, so langsam, denn Sterne dehnt die Sekunde, weil er sie voll weiß von Geschehen.,,Welch eine Menge von Begebenheiten kann der Mann mit seiner kleinen Lebensspanne umfassen, der sein Herz an allem teilnehmen läßt und der, da er Augen hat zu sehen, was ihm Zeit und Gelegenheit, so wie er seinen Weg fortsetzt, ohne Unterlaß darbieten, nichts unberührt läßt . . . Wenn das eine nichts hervorbringt, so wird's das andere tun. Es schadet nichts. Es ist ein Versuch über die menschliche Natur. Ich fasse Wasser in ein Sieb. — Genug. - Das Vergnügen des Experimentes hat meine Sinne und den besseren Teil meines Blutes wachend erhalten und den gröberen eingeschläfert." Man sieht, wie dies mit einer Leidenschaft geschieht, die kein Notizbuch braucht.,,Ich weiß nicht, wie es kommt, daß ich niemals das Dasein einer Seele in mir so überzeugt empfinde, als wenn ich darein verwickelt bin." Sterne sieht so intensiv, daß sein Bericht wie von etwas lautet, das gar nicht

von dieser Welt ist, sondern aus einem Zaubergarten. Das Absurde wird Sinn und Beweis. Die Schärfe dieser Psychologik spottet aller gemeinen Logik. Alles ist wie auf den Kopf gestellt und von äußerster Natürlichkeit. Er mußte sich für dieses Neue seinen eigenen Ausdruck, seine klare Sprache schaffen, die er sich mit großer Peinlichkeit erarbeitete, daß sie fähig wurde, solche Komplexe vergänglicher Art auszudrücken, die in seinem Minimum von Zeit spielen. Denn er notiert nie als sein zweiter Autor psychologische Kausalitäten am Rande seines Textes. Er schreibt keine Erläuterungen, keine wahrscheinlichen Motive neben die Geschichte, die als das, was man so Geschichte nennt, gar nicht vorhanden ist. Etwa was in der Küche von Shandy-Hall vorgeht beim Eintreffen der Nachricht von Bobby Shandys Tod:

,,Unser Junker in London ist tot!" sagte Obadiah.

Ein grüner atlaẞner Schlenter meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannens Kopf brachte. - Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit der Worte zu schreiben. ,,Nun," sagte Susanna,,,so müssen wir alle trauern." — Aber das Wort trauern, ungeachtet Susanna selbst es brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung; es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee. Alles war grün, der grüne atlaẞne Schlenter hing noch da. O! meine arme Madame wird den Tod davon nehmen", rief Susanna. —Nun folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes, ihr brauntaffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Schlenter, Nachtkontüschen und ausgenähten Unterröcke alles bis auf den geringsten Lappen. -,,Nein, das erlaubte sie gewiß nicht", sagte Susanna.

Die empfindsame Reise ist die reinere Bildung von Sternes Kunst als der Tristram Shandy, in den Skurriles gezogen wurde aus Übermut, den der fünfundvierzigjährige Sterne empfunden haben mußte, bei der Entdeckung seiner Kunst vom Lügentum der Worte.

LAWRENCE STERNE

ZWEI PREDIGTEN

DAS HAUS DER FREUDE UND DAS HAUS DER TRAUER

Pred. 7, 3:

Es ist besser in das Haus der Trauer zu gehen denn in das Haus der Freude.

ieser Meinung bin ich nicht, indes wir wollen hören, wie

Dder Weise Worte

der Weise seine Worte gründet: In jenem ist das Ende aller Menschen, und der Lebendige nimmt es zu Herzen: Trauern ist besser denn Lachen. Für den hirnverbrannten Orden der Karthäusermönche mögen solche Lehren vielleicht gut sein, aber nicht für Menschen, die in der Welt leben sollen. Zu welchem Ende glaubt ihr wohl hat Gott uns geschaffen? Für die Freuden des Zusammenseins in den fruchtbaren Tälern, worein er uns gesetzt hat, oder für die dürren und düsteren Einöden der Sierra Morena? Sind der widrigen Wechselfälle des Lebens und der unerfreulichen Stunden, die uns oft genug überkommen, noch nicht genug? sollen wir uns etwa noch abhetzen auf der Suche nach mehr? Du sprichst wider die Stimme deines Herzens, Predigerbuch, wenn du in unserm heutigen Texte sagst: die Stunden des Trauerns seien besser als die Stunden der Freude. Könnte uns das beste aller Wesen wohl in diese Welt gesandt haben zu dem Ende, daß wir weinend durch sie hindurchgehen, ein kurzes und an Plackereien überreiches Leben noch mehr zu kürzen und es uns zu verleiden? Glaubst du wirklich, mein guter Prediger, daß ein so unendlich glückseliges Wesen uns unsre kleinen Freuden neiden könnte? Oder daß ein Wesen, das so unendlich gütig ist, scheel sehen könnte auf einen mitleidsbedürftigen Pilger, der eine kurze Rast macht und eine Erfrischung zu sich nimmt, die ihm

so not ist, seine Kräfte zu stärken für die beschwerliche Weiterreise? Oder daß es denjenigen strenge zur Rechenschaft ziehen könnte, der auf seiner Wanderung hastig nach einem flüchtigen Genusse greift, nur um sich für den schweren Arbeitstag zu beleben, nur um die Rauheit des Weges und die Beschwerlichkeiten, denen er nicht ausweichen kann, erträglich zu empfinden? Ich bitte euch um alles in der Welt, seht doch, welche Vorkehrungen der Urheber unseres Seins getroffen, für welche Erleichterungen er selbst gesorgt hat, damit wir nicht freudlos unsern Weg dahingehen, wie viele Unterkunftsstätten er längs des Weges gebaut hat, damit wir darin ausrasten, wievielerlei Kräfte und Fähigkeiten er in uns gelegt hat, damit wir eine Abwechslung hätten, welche Dinge zum Greifen nahe er uns an den Weg gelegt hat, damit sie uns erfreuen und unter diesen sind einige, die so offenkundig und so vorzüglich für diesen Zweck geschaffen sind, daß sie uns zeitweise allen Schmerz vergessen lassen und das durch Armut und Krankheit niedergedrückte Herz aufrichten, daß es wieder atmen kann und an sein Elend nicht mehr denkt.

Ich will vorerst nichts sagen, was unserm Kanzelspruche widerspräche. Ich möchte mein Bild nur noch ein wenig ausführen, indem wir uns vorstellen, wir seien allesamt Wanderer, und aus einer bis zur Wirklichkeit gesteigerten Empfindung dieser Vorstellung heraus, daß wir auch auf einer noch so wichtigen und sogar unser Heiligstes betreffenden Reise uns nicht abhalten lassen, von den Schönheiten, die Natur und Kunst des zu durchziehenden Landes uns zu gewähren vermögen, so viel uns nur möglich ist mitzunehmen, ohne uns dem Vorwurfe auszusetzen, die Hauptsache, um derentwillen wir auf die Reise geschickt worden sind, aus den Augen verloren zu haben, wenn wir nur damit zu vereinen wissen, daß wir durch die schönen Landschaften, Gebäude und alten Ruinen nicht vom Wege abkommen, würde es nur der Wahnsinn eines fahrenden Bußpredigers sein, mit geschlossenen Augen durch die Welt zu gehen.

Doch wir wollen dem Gleichnisse nicht zu weit nachgehen und den Ausgangspunkt nicht aus dem Gesicht verlieren. Wir wollen daran denken, daß auch auf allen Nebenwegen unsere Augen immer auf Jerusalem gerichtet bleiben sollen als dem Orte der Ruhe und des Glückes, dem wir alle zueilen, und daß der Weg, dahin zu gelangen, nicht so sehr darin besteht, unsern Sinnen zu gefallen als in der Tugend fortzuschreiten, und daß Freudenfeste gemeiniglich keine dergleichen Förderungsmittel sind, vielmehr daß eine Zeit der Betrübnis in einer gewissen Weise eine Zeit der Gottesfurcht ist, nicht allein deswegen, weil unser Leiden geeignet ist, uns unsere Unvollkommenheit vor Augen zu führen, sondern weil durch eine gewaltsame Unterbrechung aller unserer Bestrebungen uns das zuteil wird, was die Hast und der Lärm der Welt uns meist versagt, nämlich ein wenig Zeit zur Selbsteinkehr, und gerade das ist, was die meisten unter uns ersehnen, um weiser und besser zu werden. Denn von Zeit zu Zeit ist für des Menschen Gemüt nichts so notwendig, als einmal Selbsteinkehr zu halten, und er täte besser daran, statt sich solche Gelegenheiten bloß zu wünschen, sie sich auch zu verschaffen, selbst auf Kosten seines augenblicklichen Wohlbefindens - er täte besser daran, wie unser Spruch sagt, in ein Haus der Trauer zu gehen, wo er mit etwas zusammentreffen wird, das seine Leidenschaft dämpft, als in ein Haus der Freude, wo die Fröhlichkeit und Lustigkeit des Ortes sie wahrscheinlich noch mehr erregt. Und während die Genüsse und Lockungen des einen Ortes sein Herz herauszerren und es den Versuchungen aussetzen, steht die Trauer wie ein natürlicher Schutz zwischen ihm und den Versuchungen.

Welch ein merkwürdiges und rätselhaftes Geschöpf ist doch der Mensch! Jedes Glied scheint nur nach Glückseligkeit zu streben, und doch, wenn er nicht manchmal das Unglück nahe fühlte, wie leicht würde er den einzigen Weg verfehlen, der ihn zur Erfüllung seiner eigenen Wünsche führt.

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