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unbescheiden gelobt, und doch mitunter, im Namen anderer, bittre Einwürfe gegen seine Meinungen angebracht.

,,Sie reden mich lateinisch an," antwortete Rousseau,,,als wenn ich ein Gelehrter wäre? Sie ersticken mich unter Ihrem Lob und wollen mich vielleicht durch diesen Weihrauch berauschen; aber Sie irren sich in beiden Punkten: denn ich bin kein Gelehrter mehr; ich war es zu meinem Unglück. Das große Lob hat mir immer mißfallen, und jetzo, da ich Trost und keinen Weihrauch bedarf, mißfällt es mir noch mehr. Es ist, als wenn Sie einen Verwundeten komplimentierten, anstatt ihn zu verbinden. Ich habe meine Schriften dem Urteil der Welt preisgegeben, und die Welt ist ihnen und mir sehr übel begegnet; es mag darum sein. Ich habe nie behauptet, recht zu haben; aber meine Absichten waren rein, und ich hätte mehr Nachsicht erwartet. Man hat mich entweder oft nicht verstanden, oder nicht verstehen wollen, und meine wirklichen Fehler, durch andere, die man mir beimißt, vermehrt. Ich schweige vor den Menschen und überlasse meine Sache Gott, der mein Herz kennt. Ich antworte auf die Vorwürfe nicht, die Sie mir in anderer Namen machen, und auch nicht auf die Lobeserhebungen in Ihrem eigenen Namen; ich verdiene beide nicht, und ich gebe dergleichen nicht wieder zurück, denn ich bin aufrichtig und kenne Sie nicht. Sie nennen sich einen Wundarzt; hätten Sie mir von den Pflanzen Ihrer Gegend gesprochen, so hätten Sie mir ein Vergnügen gemacht; aber von meinen Büchern und von allen Büchern in der Welt werden Sie vergeblich mit mir reden; ich nehme keinen Teil mehr daran. Ich antworte nicht lateinisch; ich habe von dieser Sprache nur so viel behalten, als nötig ist, um den Linnäus zu verstehn."

Um die nämliche Zeit lud ihn der Graf Orlow durch folgenden Brief nach Rußland ein :,,Sie werden sich nicht wundern, daß ich Ihnen schreibe; jeder Mensch hat seine Seltsamkeiten, Sie die Ihrigen und ich meine, das ist alles ganz natürlich, so wie der Bewegungsgrund dieses Briefes. Ich sehe Sie schon lange von

einem Ort zum andern ziehn, und so ist es mir eingefallen, Ihnen zu sagen, daß ich ein Landgut zehn Meilen von Petersburg besitze, wo die Luft gesund, das Wasser vortrefflich, die Gegend angenehm und recht zum Phantasieren gemacht ist. Meine Bauern verstehen weder englisch, noch französisch, weder griechisch noch lateinisch; höchstens wissen sie ein Kreuz zu machen, und ihr Priester hat weder zu predigen noch zu disputieren gelernt. Wenn Ihnen dieser Ort gefällt, oder irgendeinmal gefallen möchte, so steht es Ihnen frei, da zu wohnen. Es wird Ihnen an keiner Bequemlichkeit, an keinem Bedürfnis fehlen; allenfalls können Sie auch, wie der Mensch der Natur, von der Fischerei und der Jagd leben. Wenn Sie, um sich aufzumuntern, mit jemand reden wollen, so werden Sie Ihren Mann finden; aber überhaupt sollen Sie frei und ungebunden sein und gegen niemanden einige Verbindlichkeit haben. Ihr Aufenthalt kann heimlich bleiben, zumal, wenn Sie der Neugierde entgehn und Ihre Reise zu Schiffe machen wollen. Ich schreibe Ihnen dieses aus Dankbarkeit für das Gute, das mich Ihre Schriften lehrten, ob sie gleich nicht für mich geschrieben sind." Rousseau antwortete wie folgt: „Sie sagen mir, Herr Graf, daß Sie Ihre Seltsamkeiten haben; und freilich ist es seltsam genug, jemand, den man gar nicht kennt, ohne irgendeine Absicht zu verbinden. Ihr gütiges Erbieten, der Ton, womit Sie es tun, und die Beschreibung der Wohnung, die Sie mir bestimmen, würden mich zuverlässig reizen, wenn ich gesunder, beweglicher, jünger wäre, und wenn Sie der Sonne näher wohnten. Ich würde außerdem befürchten, daß Ihr Entschluß Sie gereute. Sie erwarten vielleicht einen Gelehrten, einen angenehmen Redner, der durch Witz und schöne Worte Ihre Gastfreiheit vergelten soll. Dafür würden Sie einen guten einfältigen Mann finden, den sein Geschmack und sein Unglück äußerst einsam gemacht haben, der den ganzen Tag herumläuft, um Kräuter zu suchen, und der endlich unter den Pflanzen den Frieden fand, den ihm die Menschen versagten und der seinem

Herzen so teuer ist. Ich werde also nicht kommen, um in Ihrem Hause zu wohnen; aber ich werde mich immer dankbar Ihres Erbietens erinnern und es zuweilen bedauern, daß es mein Schicksal nicht war, mit Ihnen zu leben und Ihre Freundschaft zu genießen."

Rousseau eilte nun wieder nach Frankreich. Er war im Sommer 1768 eine kurze Zeit in Lyon und wanderte, um Pflanzen zu suchen, in die Gebirge von Dauphiné. Er ging hierauf nach Paris und lebte äußerst eingezogen; er besuchte niemanden und nahm ungern Besuche an; er ward von Briefen ohne Zahl heimgesucht, aber er antwortete selten und nannte diese Zudringlichkeit den Fluch der Zelebrität.

Er trennte sich von Menschen und Büchern und schrieb um die Zeit an einen Freund:,,Ich lebe mit der vegetierenden Natur und finde, daß sie mannigfaltig reizend und, was ich über alles schätze, verträglich ist." Er besuchte zuweilen den Caffé de la Regence und sprach freundlich und gerne mit jedermann; aber wenn man seiner Schriften erwähnte, so brach er ab und ging davon. Er hatte sich mit seiner Haushälterin verheiratet, die weder Jugend noch Gestalt, noch seltene Geistesvorzüge besaß; außerdem war sie unverträglich gegen Fremde und hat ihm manchen Verdruß zugezogen. Aber sie war ihm unentbehrlich geworden; sie verstand's, sich in seine Launen zu schicken und heiterte ihn durch ihre Munterkeit auf. Rousseau wäre reich geworden, wenn er nicht das Geld verachtet hätte. Er hat nur wenig von dem Verdienst seiner Schriften genossen; kein Sterblicher kann sich rühmen, ihn irgend beschenkt oder belohnt zu haben. Der Zug ist bekannt, daß die Marquise von Pompadour ihm für kopierte Musik fünfzig Louisdor überschickte und er achtundvierzig davon zurücksandte. Nur für seine Frau haben seine Verleger eine Leibrente von 1200 Livres ausgemacht. Er nährte sich vom Notenschreiben; man bezahlte ihm mehr als gewöhnlich, aber dafür schrieb er auch in der größten Vollkommenheit ab. Seine kopierte

Musik wird teuer gekauft; denn sie trägt, außer ihrem äußern Wert, auch den Stempel der innern Vortrefflichkeit, weil er nichts abschrieb, als was seinen Geschmack als Kenner befriedigte.

Im Jahre 1770 ward sein Drama Pygmalion bekannt. Es ist ganz mit Jugendfeuer durchglüht, voll glimmender, wachsender, wütender Leidenschaft, und scheint nicht das Werk eines alternden Philosophen zu sein. Es wurde erst 1775 auf der Pariser Bühne vorgestellt. La Rive machte den Pygmalion und Mamsell Raucour die Bildsäule. Es wirkte, wie alles, was in Frankreich gefällt, wie eine Art von Zauberei; ganz Paris strömte trunken dahin. Rousseau hatte nicht in die Aufführung gewilligt und schlug auch die Autorbelohnung aus.

Noch ist ein Werk von ihm in der Welt, gewiß das einzige in seiner Art, nämlich ein aufrichtiges Tagebuch seiner selbst. Freunde, denen er es vorlas, versichern, daß er alle Geheimnisse seines Herzens mit einer fürchterlichen Wahrheit entfaltet. Folgende Vorrede zu diesem außerordentlichen Werk ist bekannt geworden:,,Ich unternehme etwas ohne Beispiel, und das gewiß nicht nachgeahmet wird: ich will einen Menschen nach der nackten natürlichen Wahrheit zeichnen, und dieser Mensch bin ich. Ich allein kenne mein Herz, und ich habe die Menschen kennen gelernt; ich bin nicht wie einer unter ihnen; ich bin vielleicht weder besser noch schlimmer, aber ich bin eine ganz eigene Gattung. Ob die Natur wohl oder übel getan hat, die Form zu zerschlagen, worin sie mich goß, darüber kann man urteilen, wenn man mich gelesen hat. Ich werde Gott, wenn er Rechenschaft fordert, mit diesem Buch entgegenkommen; ich werde sagen: so dachte ich, so handelte ich, ich habe nichts verschwiegen, nichts beschönigt, ich habe mich strafbar und niedrig dargestellt, wenn ich es war, ich habe mein Innerstes aufgedeckt, so wie es, Allwissender, vor deinen Augen offen lag! Laß die Menschen mein Bekenntnis hören, laß sie erröten über meine Schande, laß sie über mein Elend seufzen! Jeder entschleiere sein Herz vor deinem

Thron; und wenn er darf, so sag' er es kühn, daß er besser gewesen sei als ich!" Man hat ihm diese Schrift nicht entwendet, wie ein Gerücht versichern wollte, sondern es ist gewiß, daß sie bei einem Freunde verwahrt liegt und zu seiner Zeit erscheinen wird.

Rousseau lebte in der letzten Zeit, nicht weit von Paris, zu Ermenonville, einem Landsitz des Marquis von Gerardin, der in Frankreich durch die Anlegung seines reizenden Gartens berühmt geworden ist. Er hatte den Sohn dieses Herrn, einen hoffnungsvollen Knaben, so lieb gewonnen, daß er ihn erziehen wollte; er schien sich zu verjüngen und war schon entschlossen, wieder zu schreiben, als er nach einem Spaziergange vom Schlag gerührt ward. Er lebte nur wenige Stunden danach, unter Augenblicken von Erinnerung und Gegenwart des Geistes; er befahl ernstlich, daß man ihn öffnen möchte, weil er sich fürchtete, lebendig begraben zu werden. Als seine Frau vor seinem Bett in Tränen zerfloß, bat er sie, ein Fenster aufzumachen:,,Siehe", sprach er, ,,dort den heitern Himmel! Tröste dich; ich komme dahin." Dies war der Mann, den man eifrig gelesen und bewundert, verfolgt und lächerlich gemacht hat. Er war nicht von den Leuten, die man umräuchert und verachtet, sondern einer von den wenigen, die man hochschätzt und quält. Er wirkte unwiderstehlich auf alle Gattungen Geister; er hat die Jugend entzündet, die Philosophen verwirrt, die Menschenfreunde gerührt und die Klerisei, wo er sich nur zeigte, zum Kriege gereizt. Er lenkte Herzen, fesselte den Verstand und trieb eine Menge Lehrgebäude, wie Seifenblasen, vor sich her. Aber er war, sagen seine Widersacher, ein Apostel der Paradoxie. Er baute auf den Trümmern des Menschenverstandes; er verlor sich in Widersprüchen und Träumen. Er wollte die Rechte der Menschheit aus einem eingebildeten Vertrag herleiten, wovon schon jahrtausendelang kein Dokument mehr übrig ist; er kannte die blutige Völkergeschichte, die Landesväter und Helden, und glaubte doch an die Möglich

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