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bei ihm finden; es ist doch besser, Frau Magistern heißen, als ledig bleiben, und er denkt honett. Er dachte aber nicht honett; er wollte diese steifen, abgezirkelten, ausgerechneten Schritte in den Stand der heiligen Ehe nicht tun, so sehr Algebraist er auch war er wollte lieben. Er wollte Anheften, Anschließen eines Herzens an das andere ohne ökonomische Absichten - er wollte keine Haushälterin, er wollte ein Weib, die Freude, das Glück, die Gespielin seines Lebens; ihre Absichten gingen himmelweit auseinander; er steuerte nach Süden, sie steuerte nach Norden; sie verstunden sich kein einzig Wort. Doch glaubte sie ihn zu verstehen; alle seine Gefälligkeiten, alle seine Liebkosungen (denn was liebkost nicht ein Mensch in der Verzweiflung ?) beantwortete sie mit einer stumpfen, kalten Sprödigkeit, die ihn immer entweder mit Blicken oder wohl gar mit Worten auf den Ehestand hinwies, als ob bis dahin keine Verschwisterung der Herzen möglich, oder vielmehr, als ob sie von keiner anderen, als die hinter den Gardinen geschieht, einige Begriffe hätte. Der arme Mensch ging darauf, verzehrte sich in sich selber. Er mußte etwas lieben. - Hier fing das Schreckliche seiner Geschichte an.

Seine Aufwärterin war ein junges, schlankes, rehfüßiges, immer heiteres und lustiges Mädchen. Ihre Gutherzigkeit war ohne Grenzen, ihr Wuchs so schön, als er sein konnte, ihr Gesicht nicht fein, aber die ganze Seele malte sich darin. Diese Ehrlichkeit, dieses Sorgenfreie, unendlich Aufmunternde in ihrem Auge verbreitete Trost und Freude auf allen Gesichtern, die sie ansahen; lesen wollte sie nicht, aber desto lieber tanzen, welches ihre Lebensgeister in der ihr so unnachahmbaren Munterkeit erhielt. In der Tat war ihr gewöhnlicher Gang fast ein beständiger Tanz, und wenn sie sprach, jauchzte sie, nicht, um damit zu gefallen, sondern weil das herzliche innerliche Vergnügen mit sich selbst und ihrem Zustande keinen anderen Ausweg wußte. In ihrem Anzug war sie immer so reinlich, und an dieser Tugend sowohl als selbst im Geschmack ließ sie ihre Gebieterin unendlich weit

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hinter sich. Wie vieles kommt auf den Augenblick an, zu wie vielen schrecklichen Katastrophen war nur die Zeit, die Verbindung kleiner, oft unwichtig scheinender Umstände die Lunte! Ach, daß unsere Richter, vielleicht in späteren besseren Zeiten, der göttlichen Gerechtigkeit nachahmend, auch dies auf die Wagschale legten, nicht die Handlung selbst, wie sie ins Auge fällt, sondern sie mit allen ihren Veranlassungen und zwingenden Ursachen richteten, eh' sie sie zu bestrafen das Herz hätten! — In einem der Augenblicke, wo die menschliche Seele an all ihrem Glück verzagt, brachte Marie (so hieß die Aufwärterin) Zerbinen den Kaffee aufs Zimmer. Der Herr des Hauses war eben mit seiner ganzen Familie zu einem Landfeste zwei Stunden vor der Stadt herausgefahren, von dem er vor Abend nicht wiederkam. Zerbin hatte den Morgen einem Bürger, der ihm zu einem Spazierritt schon vor einer Woche das Pferd geliehen, den letzten Groschen aus dem Beutel gegeben; es fiel ihm, als er sie tanzend hereintreten sah, ein, indem die Empfindung des Mangels kalt und grauenvoll über ihm schwebte, dieses gutartige holde Geschöpf könnte wohl in dem Augenblick ebenso bedürftig sein, und aus Größe der Seele oder aus jungfräulicher Schüchternheit ihren Verdruß über das lange Ausbleiben seiner Bezahlung verbeißen. Er fragte sie also mit einem ziemlich verwilderten Gesicht: Jungfer! ich bin Ihr ja auch noch schuldig; wieviel beträgt's denn?

Ob sie nun aus seiner Miene geschlossen, daß ihm die Bezahlung izt wohl schwerfallen dürfte, oder ob etwas in ihrem Herzen für ihn sprach, das nur wünschte, durch eine Handlung der Aufopferung sich ihm weisen zu können genug, sie wußte mit so einer eigenen Naivität ein erstauntes Gesicht anzunehmen, die Hände so bescheiden zu falten, so beklemmt zurückzutreten, daß Zerbin selber darüber irre ward.,,Sie mir schuldig, mein Herr? seit wann denn? Woher denn ?" ,,Hat Sie mir nicht fünf Gulden von ihrem Lohn geliehen — und nachher noch fünfe von

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ihrer guten Freundin verschafft!",,Sie träumen. Ich glaube, die gelehrten Herren haben zuweilen Erscheinungen." ,,Ich muß es Ihr bezahlen, Jungfer. Ich will meine Uhr versetzen." Um meinen Leserinnen und Lesern dieses Betragen unserer artigen Bäuerin in ein besseres Licht zu setzen, müssen wir hier erinnern, daß sie die Tochter eines der reichsten Schulzen aus einem benachbarten Dorfe war, nicht sowohl wegen des Lohnes, als wegen alter Verbindlichkeiten, die ihr Vater dem Herrn vom Hause hatte, bei ihm diente.

Sie setzte sich hierauf in eine noch feierlichere Stellung und tat die schrecklichsten Schwüre, daß er ihr nichts schuldig wäre; er sprang auf, weinte vor Scham, Wut und Dankbarkeit; sie fing mit an zu weinen, sagte, wenn er wieder was nötig hätte, sollte er sich nur an sie wenden, sie hätte einen reichen Vaterbruder in der Vorstadt, sie würde schon Mittel finden, etwas von ihm zu bekommen; er schloß sie in seine Arme; ihre bebenden Lippen begegneten sich Einsamkeit, Stille, Heimlichkeit, tausend angsthafte, freudenschaurige Gefühle überraschten sie; sie verstummten sie gleiteten - sie fielen.

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Diese Trunkenheit des Glücks war die erste und einzige, die Zerbinen für seine Lebenszeit zugemessen war, um ihn in desto tieferes Elend hinabzustürzen. Zwar wußten beide auch nachmals noch Gelegenheit zu finden, ihre Zärtlichkeiten zu wiederholen; aber wie der erste Schritt zum Laster, mit so viel Rosen er auch bestreut sein mag, immer andere nach sich zieht, so ging es auch hier. Zerbins hohe Begriffe von der Heiligkeit, aufgesparten Glückseligkeit, von dem Himmel des Ehestandes verschwanden. Die Augen fingen ihm, wie unsern ersten Eltern, an aufzugehen, er sah alle Dinge in ihrem rechten Verhältnis, sah bei der Ehe nicht mehr als einen Kontrakt zwischen zwei Parteien aus politischen Absichten. Hortensia und ihr steifes Betragen hatte nun in seinen Augen gar nichts Widriges mehr, da der Vater eine ansehnliche Stelle im Magistrat bekleidete und zehntausend Taler

mitgeben konnte: er ward vernünftig. Er hatte die Liebe seiner Marie zum voraus eingeerntet; Liebe schien ihm nun ein Ingrediens, das gar nicht in den Heiratsverspruch gehörte; die große Weisheit unserer heutigen Philosophen ging ihm auf, daß Ehe eine wechselseitige Hilfleistung, Liebe eine vorübereilende Grille sei; eine Mißheirat schien seinem aufgeklärten Verstande nun ein ebenso unverzeihbares Verbrechen, als es ihm ehemals der Ehebruch und die Verführung der Unschuld geschienen hatten. In ein Dörfchen zu gehen und mit seinem freundlichen Mariechen Bauer zu werden - oder dem Vorurteil aller honetten Leute in Leipzig Trotz zu bieten und seine schöne Bäuerin im Angesicht all seiner galanten Bekanntschaften zu heiraten — welch ein unförmlicher Gedanke für einen Philosophen, dem itzt erst die Fakkel der Wahrheit zu leuchten anfing, der itzt erst die Beziehungen der Menschen, die Abweichungen der Stände, die Torheiten phantastischer junger Leute, die Irrtümer der Phantasie und das menschliche Gebiet der Wahrheit im echtesten Licht übersah! Von dieser Zeit an faßte er den Entschluß, Professor der ökonomischen Wissenschaften, nebenan des Naturrechts, des Völkerrechts, der Politik und der Moral zu werden. Saubere Moral, die mit dem Verderben eines unschuldigen Mädchens anfing! Er räsonierte nun ungefähr also:

Der Trieb ist allen Menschen gemein; er ist ein Naturgesetz. Die Gesellschaft kann mich von den Pflichten des Naturgesetzes nicht lossagen, als wenn diese den gesellschaftlichen Pflichten entgegenstehen. Solange sie sich damit vereinigen lassen, sind sie erlaubt, was sage ich? sie sind Pflicht. Ich darf also die Achtung, die ich der Gesellschaft schuldig bin, nicht aus den Augen setzen. Folglich, wenn ich Marien dahin bringen kann, daß sie um einige Zeit eine Reise zu ihren Verwandten vorschützt, so sie insgeheim nach Berlin führe, wo ich gleichfalls meinen Vater zu besuchen habe, ihr dort ein Zimmer miete, das Kind auf die Rechnung meiner künftigen Erbschaft von dem und dem alten Bekannten

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komme und eine reiche Partie - Marie bleibt immer mein, und je verstohlener wir nachher zusammenkommen, desto süßer — Liebe hat ihre eigene Sphäre, ihre eigenen Zwecke, ihre eigenen Pflichten, die von denen der Ehe himmelweit unterschieden sind.

Er setzte sich sogleich hin, an seinen Vater zu schreiben, ihm durch die unvermutete Entdeckung, daß er noch lebte, eine Freude zu machen und sich zugleich für seine bedrängten Umstände und zu einer Reise nach Berlin eine Hilfe von hundert Friedrichsdor auszubitten. In diesem Augenblick trat Marie ins Zimmer. Er kleidete ihr sein Projekt in solche lügen- und schmeichelhafte Farben ein, daß sie mit Tränen in alles einwilligte. Wiewohl sie ihm die Freuden eines eingezogenen, schuldlosen Lebens in einem Dorf, wo ihr Vater ihn mit beiden Händen würde aufgenommen haben, mit Worten vormalte, die Steine erweicht haben würden. Aber seine Politik drang diesmal durch. Sie wollten sich in Berlin so lange aufhalten, bis sein Vater tot wäre und er förmliche Veranstaltungen zu einer öffentlichen Verheiratung mit ihr machen könnte. Sie ergab sich endlich in seine höheren Einsichten, warf sich in seine Arme, drückte ihm ihre Liebe nochmals auf die Lippen und erhielt von ihm die Versiegelung seiner noch immer ebenso heftigen Leidenschaft.

Alles ging gut: er fing hierauf an, statt der verdrießlichen Lehre von Potenzen und Exponenten ein Kollegium über die Moral und eins über das Jus naturae zu lesen, das ihm gar kein Kopfzerbrechen machte und ungemein gut von der Lunge ging. Er bekam einen Zulauf, der unerhört war, und es währte kein halbes Jahr, so ließ er für seine Lesestunden ein neues Kompendium der philosophischen Moral, gepfropft aufs Natur- und Völkerrecht, drucken, das in allen gelehrten Zeitungen bis an den Himmel erhoben ward. Unterdessen blieb das arme Mariechen, die Veranlassung aller dieser Revolutionen, ein unglückliches Mittelding zwischen Frau und Jungfer; ihre glückliche Lustigkeit ver

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