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stande ist, Sie zu beleidigen, verdient keine. Aber hören Sie mich an. Nur ein Wort. Wenn ich gehen muß, so verlange ich von Ihnen wenigstens das eine, daß Sie mich nicht im Zorn wegschicken, das wäre zu viel.

Die Gräfin. Sie verdienen meinen Zorn.

Montade. Ich verdiene doch vielleicht mehr Ihr Mitleid, wenn ich mich von Ihnen trennen muß.

Die Gräfin. Lassen Sie mich jetzt... Ich fühle mich nicht wohl. Gehen Sie schon, oder ich muß meine Leute rufen. Gehen Sie, ich sage Ihnen doch, gehen Sie! Alles, was Sie mir nicht sagen, macht mir angst und bang. Wenn jetzt mein Mann hereinkäme, ich glaube, ich würde tot umfallen. Also lassen Sie mich schon.

Montade. Für immer?

Die Gräfin. Ah!

Montade. Erlauben Sie, daß ich noch einmal kommen darf, bevor ich sterbe?

Die Gräfin. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin.

Montade. Sie sind allein, Komtesse, allein mit dem unglücklichsten und leidenschaftlichsten Geliebten der Welt.

Die Gräfin...

Montade. Darf ich wiederkommen?

Die Gräfin. Ich bin jetzt außerstande, es zu erlauben oder zu verbieten...

Montade. Also ich darf bald wiederkommen?

Die Gräfin. Was soll ich sagen...

Montade. Wenn meine Gegenwart Ihnen so lästig ist, werde ich doch nicht die Unverschämtheit haben, zum Souper wiederzukommen.

Die Gräfin. Nach der Unverschämtheit von vorhin wird Ihnen die andere nicht schwer werden. Aber jetzt gehen Sie, damit mein Mann Sie hier nicht findet. Und kommen Sie in einer Stunde wieder, wenn Sie durchaus wollen.

Montade. Ich will es nur, wenn Sie es wünschen.

Die Gräfin. Wenn ich es wünsche? Der Mensch zweifelt noch daran! Wenn eine Frau so weit gegangen ist, einem Manne ihre Liebe zu verraten, so ist alles gesagt und alles getan, sie hat ihre Rechte verwirkt. Ich habe kein Recht mehr, auf Sie böse zu sein. Ich bin nur mehr auf mein Herz gestellt... Aber gehen Sie jetzt und kommen Sie bald wieder. Bis dahin will ich mit mir allein sein. Ich muß mit mir allein sein und zu mir kommen, wenn ich es kann... Ich höre was. Es kommt wer... Sehen Sie schnell, wer es ist.

Montade. Herrgott, Ihr Mann!

Die Gräfin. Mein Mann! Ich bin verloren. Er wird Verdacht schöpfen. Setz' dich da in den Stuhl und rühr' dich nicht. Nimm ein Buch und lies mir laut vor.

m Jahre 1781 schrieb ein zwanzigjähriger Engländer ein kleines Buch,,hintereinander und auf französisch in drei Tagen und zwei Nächten intensivster Arbeit“. Er „bekam die Kleider nicht vom Leib und wurde schwer krank davon". Das Buch heißt: Vathek, conte arabe. Sein Verfasser: William Beckford.

schrieb ein Engländer kleine

Dieses Buches Charakter ist nicht aus seiner Zeit zu bestimmen, deren kritische Organe es ignorierten. Daß es sich eine orientalische Geschichte nennt, mag an Voltaire und Galland erinnern machen, aber nichts von diesem Orientalischen ist darin: weder die satirische Verkleidung in Turban und Pluderhose, noch das naive Märchen. Manche Literarhistoriker haben das Buch seiner unterirdischen Schauer wegen mißverstanden und in eine Abhängigkeit von der,,Gotik" des,,Schlosses von Otranto" gebracht, dem skurrilen Romane des vom Spleen und einer englischen Tagesmode geplagten Horace Walpole, dessen Imitatoren die Mrs. Radcliffe und Matthew Lewis waren. Beckford steht mit seinem Buche ganz abseits. Daß es in dieser Zeit möglich war, ist ein sonderbarer Zufall. Daß eine dichterische Einstellung auch nicht im geringsten unter den starken Zwang dieser Zeit kam, läßt Bedingungen dieser Zeit denken, die den uns bekannten sehr gegenläufig anzunehmen sind. Stellt man den,,Vathek“ unter die Märchen-nicht die Legenden und Verzierungen der Mythen sind 1780 mehr darunter zu verstehen, denn der Glaube an den Mythus ist aufgelöst stellt man den,,Vathek" also unter die Kunstmärchen, diese Erfindungen einer Ermüdung am Wirklichen, so müßte man an eine ironische Konzeption denken, in der Art E. T. A. Hoffmanns etwa, wo die Wendung aus dem Sublimen ins bürgerlich Skurrile, aus dem,,Wunder ins Wunderliche" latent ist, wo, wie C. Einstein sagt,,,am Ausgang die Dinge zernichten oder in bürgerliche Gleise einfahren". Doch nicht des Märchens willen, das er oft genug belächert, gibt Beckford die

psychologische Qualität auf und schaltet er die Realität durch Superlative aus. Auch nicht um der moralischen Idee seines Buches zu dienen, der damit ja ein schlechter Dienst erwiesen wäre, als welche moralische Idee etwa diese ganz unzeitgemäß verwischte und an die Ränder geschobene wäre: Du wandelst deinen Traum in öde Leere, ziehst du mit Willen und Macht aus, ihn wirklich zu machen. Oder in das Geistige diese Moral des Buches übersetzt: laß die Kunst nicht real genommen werden, schreibe mit ihr keinen didaktischen Text zum Leben, denn sie ist nichts als Zauberei aus Bild, Rhythmus, Ton. Sie ist kein Gleichnis und keine Allegorie und kein Abbild. Sie ist eine Wesenheit ganz aus sich selber, nicht einmal zum Künstler hat sie eine praktische Relation also ist sie nicht einmal persönlich.

Aber selbst so ins Geistige die Moral des,,Vathek“ übersetzt, ist sie schon stärker betont, als es das Buch und seine Intention erlauben. Denn sie steht nicht in seinem Zentrum, sondern spielt nur um seine Konturen. Kein Ding ist an die moralische Idee des Autors verraten, keines um ihretwillen verstärkt oder vermindert oder zum Vorwand geworden. Die Dinge werden nicht für eine Privatangelegenheit des Verfassers mißbraucht, sei diese eine moralische Idee, ein Gefühl, eine Anschauung der Welt. Sie werden nicht sentimental geadelt, indem sie der Dichter auf die Höhe seines inneren Zustandes herunterbringt oder ihnen die falsche Wirklichkeit seiner Illusion schenkt: weil ihm sein Hochmut die Wirklichkeit der Dinge unendlich geringfügig erscheinen läßt gegen die Größe seines erhebenden Gefühles oder seines Weltbildes. Nichts davon.

Mit diesen Worten ist aber das Wesen des Ästheten angedeutet, dem letzten Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, der das erstemal und ganz unzeitgemäß und vom Mißverstand alsbald völlig isoliert in diesem William Beckford auftrat, als er den,,Vathek" schrieb. Dem letzten Menschen dieser unserer Zeit nur insofern, als er diskutierter Begriff einer Persönlich

keit wurde, denn er war das Problem des Künstlers seit Novalis und Keats.

Man kann wohl den Ästheten als den dichterischen Menschen beschreiben, der die Erschöpfungspausen des Dichters (in denen er in den gemeinen Tag sinkt) nicht erleiden will und den die Leidenschaft der Form auch dem gelebten Leben gegenüber ganz erfüllt. Ihn also nennen: den Menschen der stärksten bildnerischen Kraft, der sein Leben nicht entmündigt, um es zu nichts als zum Anlauf für sein Gedicht zu brauchen, von dessen Höhe herab er sein Leben und das Leben dann klein finden muß, um auf der Höhe seines Gedichtes doch zu klagen: Könnte ich leben! Der Ästhet wird nicht so sehr wie der Dichter vom Gedichte, sondern er wird auch von den Pausen seiner dichterischen Existenz bestimmt, deren Unerträglichkeit er nicht im gemeinen Abenteuer überwinden kann, da ihm, dem immer von der Leidenschaft der Schönheit Erfüllten, keine Entschuldigungen öde verbrachten Lebens geläufig sind. Die ästhetische Einheit, als welche jedes Kunstwerk ist, kommt nur durch einen Verzicht zustande: die unendliche Mannigfaltigkeit des Lebens muß um dieser ästhetischen Einheit willen durch Wählen und Fortlassen verneint werden. Der Ästhet wird das Kunstwerk als einen Verrat an der andern Einheit des Lebens empfinden und bei seinem geringeren Vermögen, künstlerische Einheiten zu leisten, diese so weit vom Leben distanzieren, daß für sie das Wort Stendhals zutrifft: Die Kunst ist ein Protest gegen die Natur, d. h. das Leben. Der Ästhet wird mit dieser Einstellung seine Möglichkeit des Leistens außerordentlich verringert sehen und kann wie Beckford ein homo unius libri bleiben. Oder es wird ihn wie Friedrich Schlegel, den das Titanische beschäftigte, die Ganzheit des Lebens in die Kunst einzubeziehen, also das Ganze in einen Teil des Ganzen zu bringen, in den Glauben führen, oder wie Kierkegaard in die Dialektik oder wie, im kleinsten Stile, Oskar Wilde in den Dandysmus. Um das Leben zu besitzen, müssen sie es bewußt als Form be

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