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keit eines ewigen Friedens; er fluchte den Wissenschaften und Künsten, und schrieb über Wissenschaften und Künste; er nannte die Bühne eine Schule des Lasters, und verfertigte Operetten und Dramen; er bezeugte, daß man ohne verdorbene Sitten keinen Roman lesen dürfe, und schrieb einen sittenverderbenden Roman, er setzte die Besserung der Welt in einer veränderten Erziehung, und sein Emil ist nicht für diese Welt erzogen. Er sprach aufrichtig für die Wahrheit zu kämpfen, und verdunkelte die erkannte Wahrheit durch neue verwirrende Zweifel; er erhob die Vorzüge der christlichen Religion, und bestürmte den Grund, worauf sie sich stützt. Vieles hiervon kann nicht geleugnet werden; auch trug es sich zu, daß er zuweilen einen Irrtum immer heftiger verteidigte, je mehr ihn der Spott seiner Gegner reizte; außerdem gibt es über alles, quae caliginosa nocte premit Deus, auf jeder Seite Gründe genug. Alle, die ihn kannten, geben ihm das einmütige Zeugnis, daß er die Wahrheit ernstlich suchte, daß er von dem Satz, den er jedesmal lehrte, durchdrungen war, daß er nicht glänzen, sondern überzeugen, keine Sekte stiften, sondern bessern wollte.

Es ist ein auffallender Unterschied zwischen ihm und Voltaire, der untersucht zu werden verdient. Diesem war es nicht um Aufklärung, sondern um Witz, weniger um eine gute Tat, als um den Ruhm derselben zu tun ; er jagte nach Einfällen, nicht nach Belehrung, und hätte die Rätsel der Vernunft ihrer Auflösung vorgezogen, der Freude wegen darüber zu spotten. Rousseau handelte nach seiner Einsicht; sein Leben stimmte mit seinen Grundsätzen überein; Voltaire hat immer Menschenliebe gepredigt und seine Brüder erwürgt. Rousseau entschied nicht, sondern untersuchte; Voltaire verbarg unter der Karnevalslarve der Unwissenheit den Stolz eines untrüglichen Weisen; jener gestand, daß er sich irren könne, dieser hat nie einen Zweifel an seiner Unfehlbarkeit verziehn. Voltaire verhöhnte und verleumdete Rousseau, dieser hat seine Lästerungen nie erwidert; alles,

was er sich erlaubte, war ein gutmütiger Scherz. „Voltaire", sprach er zuweilen lächelnd,,,kleidet es gut, auf die Verfolgung der Philosophen zu schimpfen, ihn, den niemand als Freron verfolgt, und der hunderttausend Franken jährlich in einer wollüstigen Ruhe verzehrt." Als man ihm eine Bildsäule setzen wollte, so sandte Rousseau zwei Louisdor dazu hin.

Ihr Schicksal war, wie ihr Charakter, verschieden. Voltaire hatte alle Religionen mißhandelt, über Könige und Nationen gespottet, unvertilgbare Lächerlichkeit über ehrwürdige Verfassungen ausgegossen und selbst den Staat, wo er lebte, verhöhnt; alles das ging ungerächt durch. Rousseau verehrte die Religion, spottete nicht, griff niemals an, als wenn er sich verteidigen mußte, und ward überall wie ein Straßenräuber über die Grenzen verjagt.

Ich kann die Sache nur dadurch erklären, daß wir niemals vergeben, wenn man uns mit einer ernsthaften Miene versichert, daß wir töricht handeln und denken, wenn man mit Beweisen auf uns einstürmt und nicht wenigstens den Ausdruck mildert; aber mitten unter drolligen Schwänken nehmen wir bittere Schimpfreden hin; wir zürnen nicht in der guten Laune, oder lachen unsern Unmut weg. Voltaire, dieser einzige, glänzende Mann, hatte also doch die Yoriksmaske (ich darf wohl kaum anmerken, daß ich hier nicht Sterne, sondern the Kings Jester aus dem Shakespeare meine; noch weniger fällt es mir ein, wie unsere rohe deutsche Jugend, Voltairs Verdienste zu verkennen, dessen Liverei unser Jahrhundert trägt, ich rühme nur seine Klugheit) nötig, welche die weltklugen Weisen aller Zeiten in Schutz nimmt. Ein Lustigmacher ist unverletzlich und steht unter dem Schutze des Völkerrechts.

Aber war nicht Rousseau ein Träumer? hat er seine Zeit, hat er die Menschen gekannt? lebte und webte er nicht in einer idealischen Welt? fordert er nicht zu viel von dem verdorbenen Geschlecht? ist sein Vorbild der Tugend und Weisheit nicht aus der Halbgötter Zeit? Es kann sein; gleichwohl ist es ein ehr

würdiger Traum, uns Tätigkeit, Gefühl unsers Wohls und Trotz auf unsere Rechte zuzutrauen. Er wurde freilich getäuscht; er irrte zur Belohnung arm und vogelfrei auf der Erde herum; aber er gestand auch seinen Irrtum. „Ich unternahm es," sprach er, ,,mit den Menschen über ihr wichtigstes Interesse zu reden. Sie wollten lieber singen hören; darum schrieb ich Noten für sie ab." Man fragt ferner: widersprach er sich nicht? nahm er nicht oft Lehrsätze wieder zurück? Heil also der übereinstimmigen Mittelmäßigkeit, die immer auf ihrem geraden Weg im Gängelband der Schule taumelt, und keine Meinung ändert, weil sie sich nie einer eigenen bewußt war! So zählt uns denn, fährt man fort im triumphierenden Ton, die Summe der Wahrheiten auf, die Rousseau gefunden oder bestätigt hat, oder gestehet vielmehr, daß er wieder einriß, was er baute, und daß er durch sein ewiges Für und Wider alle Gewißheit aus der Seele vernünftelte! Welches Lehrgebäude hat er befestigt? welches neue gegründet? irret er nicht in lauter Ruinen herum? hat er nicht in alle Systeme tiefe schreckliche Lücken gerissen? Alles zugegeben, meine Herren: aber er fand diese Klüfte auf seinem einsamen Pfad und warnte getreulich den Wanderer dafür; es war seine Schuld nicht, wenn er nicht so glücklich als andere war und irgend auf eine Notbrücke stieß. Unsre Kathedersysteme hängen besser zusammen; wir erklären die verborgensten Dinge; wir verhören die verschwiegene Natur; wir vereinigen Notwendigkeit und Freiheit und verteidigen mit kühnem Frevel Gott gegen seine Geschöpfe. Es gibt Herden von Universitätsphilosophen, die alles begreifen und beweisen, die nie ein Zweifel geängstigt hat. Nur ist zu beklagen, daß die weisesten unter den Menschen nach langem Grübeln immer fanden, daß sie nur wenig wußten. Unsere Jünglinge spotten über Zweifel, und der hundertjährige Theophrast starb darum ungern, weil er, wie er sagte, eben anfing, ein wenig klug zu werden.

Es läßt verdächtig, wenn ein roher Mündling eben da die größte

Klarheit entdeckt, wo die Bayle zweifeln und die Leibnize vermuten, wenn man da am trotzigsten entscheidet, wo die Rousseaue und die Locke ihre Unwissenheit gestehn. Die Grundbegriffe aller Dinge, das Wie? in den Erscheinungen der Natur, das Warum? in der moralischen Welt, die Ratschlüsse der Vorsicht, die widersprechenden Schicksale des Lasters und der Tugend sind Geheimnisse des Allmächtigen. Wir werden selbst in der bürgerlichen Weisheit nur einzelne Beziehungen gewahr, wenn sie just in unserm Gesichtskreise liegen. Darum überläßt der Weise, wenn ihn keine Offenbarung erleuchtet, den Olymp den unsterblichen Göttern, erträgt oder genießt sein Los, ist nützlich, wenn er kann, und bildet an sich selbst. Wir sind auch ohne tiefes Forschen durch unsere Vernunft genug aufgeklärt, um uns zu lieben, zu ertragen, um gütig und gerecht zu sein. Wohltätigkeit und Menschenliebe sind älter als Systeme, älter als die goldenen Sprüche des Pythagoras, und es gab freundliche Erdensöhne, ehe Plato über die Tugend schrieb, ehe Sokrates dafür starb.

War es aber dein Schicksal, Freund der Wahrheit, in einer Religion erzogen zu werden, die, bei ihrer Unerklärbarkeit, doch für deine Einsicht und dein Gefühl unleugbare Spuren eines hohen Ursprungs trägt, so grüble weniger als Rousseau, hasche nicht so emsig nach Zweifeln, die dich weder klüger noch glücklicher machen; aber entscheide auch nicht so trotzig und kühn, wie deine Orthodoxen, mäkle nicht zwischen Geheimnissen und Vernunft, vertrage dich nicht um die Hälfte, demonstriere den einen Teil nicht weg, um den andern metaphysisch zu erklären, sondern Dinge, die du weder verwerfen noch begreifen kannst, verehre mit bescheidenem Schweigen und demütige dich vor dem alles erfüllenden Gott, der zu dir spricht im Herzen und im lauten Jubel der Natur, der wahrlich ist - - weil alles ist, und vor dem allein die Wahrheit ohne Hülle erscheint.

HELFERICH PETER STURZ

Nachruhm

achruhm ist ein blind geworfenes Los, das aus der Schale des Schicksals nicht immer auf den Würdigsten fällt..." — manche Umstände haben sich vereinigt, das Wort an dem wahr zu machen, der es ohne Bitterkeit und ohne eigenes Schicksal zu ahnen schrieb: Helferich Peter Sturz ist in unserer Zeit so sehr vergessen, daß man ihn nicht liest? - nein, dieses Geschick teilte er mit Berühmteren; daß man vielmehr kaum seinen Namen je hört und der, nennt man ihn, nichts erinnert. Er ist ein völlig Unbekannter. Und verdiente doch, um es gleich zu sagen, unter den deutschen Prosaisten der neueren Zeit mit großem Lobe genannt zu werden, als ein Schriftsteller, der nicht als ein Gelehrter, kaum als ein Autor, sondern als ein Weltmann schrieb, der sein Leben gar nicht auf das Schreiben einrichtete, das er selten als Wonne und meist als Trost trüber Stunden trieb; der seinem Schreiben nicht die geringste Wichtigkeit gab und ohne Pose ziemlich geringschätzend davon sprach. Diejenigen,,Deutschen, die als Geschäfts- und Lebemenschen bloß aufs Praktische gehen, schreiben am besten“, sagte Goethe zu Eckermann, und für den Satz ist Sturz ein bestes Exempel, der einmal erklärt: ,,Ich mache keinen Anspruch auf Autorschaft, als wozu mich weder die Geschäfte noch die Schicksale meines Lebens führen konnten."

Die Geschäfte und Schicksale dieses Mannes füllten ein kurzes Leben. 1736 in Darmstadt aus einfachen Verhältnissen geboren, wurde er nach Studentenjahren in Göttingen, Jena und Gießen mit sechsundzwanzig Jahren Privatsekretär beim Grafen Bernstorff in Kopenhagen, das damals kein unbedeutender Vorort deutscher Kultur war. So sehr bevorzugte der dänische Hof und die Hofgesellschaft deutsche Art und deutsche Kunst, daß man auf Christian VII. den Witz machte, er sei an seinem Hofe der einzige, der dänisch sprechen könne. Holberg, der Komödien

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