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dichter, suchte wütend ein Publikum für seine dänischen Stücke, während der klügere Baggesen anfing, seine prätentiösen Kleinigkeiten auf deutsch zu reimen. Die Dänen galten im eigenen Hause nicht viel und mußten in den Ecken stehen, während Klopstock und Cramer, Basedow und der ältere Schlegel, Gerstenberg und Schönborn an der Tafel saßen. Man traf sich in dem gastfreundlichen Hause Bernstorffs, und der lebhafte witzige Sturz, dem Staatsminister in Freundschaft verbunden, lebte hier eine glückliche Zeit, die ihm alles bot, woran sich seine eigene Art bilden konnte. Als Legationsrat begleitete er Christian nach England und Frankreich, wo er in der besten Gesellschaft eine gute Figur machte. Garrick wird sein Freund, die Madame Geoffrin schreibt ihm noch lange später hübsche kleine Briefe, Helvetius schätzt ihn hoch, und er schwärmt für Galiani. Spätere Reisende berichteten, wie Sturz noch allen gegenwärtig war, da er selbst schon nicht mehr unter den Lebenden weilte. Die leichte Beweglichkeit seines Geistes gab ihm Wichtigkeit im Gespräch der Männer, wie sie ihn angenehm machte in der Unterhaltung mit den Damen. Er hing dem Tiefsinn nicht nach, denn sein Leben hatte nur Glücksfälle erfahren. Wir hätten wohl starke Dokumente seiner ironischen Überlegenheit, hätte sich sein Leben nicht so in Ungunst und Unglück gebrochen und hätte es da länger gedauert, um mehr als den Prozeß langsamer Überwindung zu äußern.

Der Fall Bernstorffs und das abenteuerlich rasche Emporkommen Struensees machten Sturz nicht mißtrauisch. Der sonst klar sah, vertraute hier blind seinem Glücke, das ihn, den armen und unbekannten jungen Menschen in beide Arme genommen hatte. Sein Verhältnis zu dem kleinen so mächtig gewordenen Hamburger Arzt wurde wohl ein reserviertes, aber er hatte es in völliger Unkenntnis der Dinge, die sich vorbereiteten, versäumt, sich der Gunst der Gegenpartei, die ein Rantzau, sein früherer Protektor, führte, zu versichern. Am 17. Januar 1772

vollzog sich, was man etwas großartig die,,dänische Revolution" zu nennen beliebte, und am 21. Januar wurde Sturz verhaftet. Er hatte sich gerade verlobt, und von seiner Braut weg brachte man ihn ins Gefängnis, aus dem man ihn nach einem halben Jahr entließ. Seine völlige Unschuld hatte sich wohl herausgestellt, doch fand es die neue Regierung gut, ihn als Rat mit einem kleinen Gehalt nach Oldenburg zu schicken, das damals das dänische Sibirien war. Der arme, aus den angenehmsten Verhältnissen so jäh geworfene Sturz setzte alle Freunde in Bewegung, daß sie ihm in Wien oder in Petersburg eine Stelle erwirkten. Das dauert ein paar Jahre in Not und Hoffnung. Ein Brief, der ihm Erlösung scheint, trifft ihn am 19. November 1779 auf dem Sterbebett.

,,Ertragt der Glücklichen stolzes, niedertretendes, erwürgendes Mitleid und liebt die Menschen, wenn ihr könnt -", so macht sich nur einmal der Groll gegen sein Geschick frei, das Sturz nach außen um so ruhiger trug, je mehr es ihn im Innersten erregte und seine Gesundheit zerstörte. Gesellschaft und Geschäfte, die seine glückliche Zeit so angenehm ausfüllten, hatten ihn freigegeben, und er gab seine trübe Muße dem Schreiben. Das wenige, das wir von ihm haben, ist mit Ausnahme eines literarischen Scherzes, in dem er sich über die Wut der moralischen Zeitschriftengründungen belustigte, und der Briefe von der Reise, die er nicht an ein Publikum schrieb, in diesen trüben Oldenburger Tagen entstanden. Es sind, wenn man von dem Freundschaftsdenkmal der „Erinnerungen an Bernstorff" absieht, Arbeiten geringen Umfanges, kleine Aufsätze moralischen oder ästhetischen Auseinanderlegens, die sich keine Gelehrsamkeit aufladen, sich lose an den Tag knüpfen und nichts weiter wollen, als eine nachdenkliche Meinung äußern: die spielende Arbeit einer gezwungenen Pause, die nicht ganz untätig vergehen will. Manches davon erbaten sich Freunde für Zeitschriften, das meiste erschien erst nach dem Tode des Autors, der anderes wollte und, jeder literarischen Betriebsamkeit abhold, nur diesen Ehrgeiz hatte,

daß ordentlich geschrieben sei, wenn schon geschrieben sein müßte.

Wohl mit Recht macht man heute vornehmlich die Zeitung für den Verfall der deutschen Prosa verantwortlich, und der Gründe sind genug dafür. Und doch war es wieder die Zeitung, die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Bildung der neuen deutschen Prosa am stärksten förderte, indem sie die schwerfällige Weitschweifigkeit zur Kürze zwang, vom Worte Deutlichkeit und Schärfe verlangte und die Schriftsteller mehr auf die Mitteilung schöner Bildung und eigener Meinung wies, als auf das Ablagern von allgemein gelehrten Kenntnissen. Die Größten jener Zeit schrieben für die Zeitung in jenem besten Sinne: dem Tage dienend, in dem sie ihre Persönlichkeit mitteilten: Lessing vor allem, dann Herder, Merck, Lichtenberg, Goethe, um nicht Möser und andere zu nennen, deren Beruf die Zeitung war. Noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts geboten Satzungen literarischer Gesellschaften ihren Mitgliedern, nur keine kleinen Bücher zu schreiben, sondern in voluminösen Quartfolianten ihre Eitelkeiten von sich zu geben, wenn sie nicht wollten, daß der Respekt vor der Zunft verloren ginge. Die vielen Zeitschriften, die sich in Nachahmung der Engländer plötzlich in Deutschland auftaten, nahmen der Foliantengelehrtheit den Dünkel und schufen eine den Deutschen neue Form: den Versuch. Keiner übte sie besser als Sturz, dem eine angenehme Bildung und Kenntnis der Engländer und Franzosen ebenso dienten, wie Glück und Unglück seines Lebens, das ihn mit Tätigen nicht weniger als mit den Müßigen in Berührung brachte. Seine Gelehrtheit aus Büchern erfuhr durch die unmittelbare Anschauung Korrektur und Leben, allgemeine Philosophien verloren die Starre durch die Beobachtung, und ein lebhafter Witz schützte seine Intelligenz vor Wichtigkeit und Pedanterie. Dies ist natürlich: man wird auch bei ihm in den letzten Dingen auf die bürgerliche Mythologie seiner Zeit kommen, diese emblematischen Tugenden.

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