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erheuchelt man bald Zorn, bald Furcht, bald Mitleid, um die andern zu diesen verschiedenen Gefühlen zu bringen. Was die Leidenschaft selbst nicht tun konnte, das führt die wohl nachgeahmte Leidenschaft aus.

Sagt man nicht in Gesellschaft, ein Mann sei ein großer Schauspieler? Man begreift darunter nicht, daß er fühlt, sondern daß er in der Verstellung hervorragt, obgleich er nichts fühlt; die Rolle ist schwieriger als die des Akteurs, denn dieser Mensch hat obendrein den Diskurs zu finden und zwei Verrichtungen zu leisten, die des Dichters und die des Schauspielers. Der Poet kann auf der Szene geschickter sein als der Schauspieler in Gesellschaft, aber glaubt man, daß auf der Szene der Akteur tiefer, im Erheucheln von Freude, Trauer, Sensibilität, Bewunderung, Haß, Zärtlichkeit geschickter sei als ein alter Höfling?

Doch es wird spät! Gehn wir zum Souper!

I

LACLOS

́m Roman fand diese Zeit wie von da ab die künftige ihren entsprechendsten literarischen Ausdruck. Der Roman des Rokoko, der Zeit von 1740-1770, sucht ein liebenswürdiges Dasein in oft gefühlereicher Wollust. Diese Verführer haben im letzten ein gütiges, weiches Herz und ihre Libertinage ist ein Amüsement und fern von aller Ruchlosigkeit. Und die Geliebten haben für ihre augenblicklichen Verhältnisse immer nur Treue und Aufrichtigkeit. Selbst die Betrogenen lieben die Liebe und sagen nichts Schlechtes über sie. Die kleinen Sentiments und die kleinen Sinnlichkeiten so ineinander geschoben, wie es der Roman dieser Zeit liebt, amüsieren und rühren, aber sie beunruhigen nicht. Man sagt, diese Romane malen falsch, die Gesellschaft sei nicht so gewesen. Dies ist möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich. Aber es war dieser Gesellschaft angenehm, so zu scheinen, wie sie die Romane malten. Und Zeit war genug, daß sie nach den Fiktionen dieser Romane sich ihr Leben, wenn nicht richten, so doch korrigieren konnte. Denn in einem waren die Fiktion und das Leben gleich: im Verbergen der Tiefe aus Wohlerzogenheit. Das Grenzenlose mußte sich in die Grenzen der verkräuselnden Wellen eines Ornaments finden. Selbst wo diese Romane das darstellen, was man Ausschweifung nennt, wie es die Bücher des Andréa de Nerciat tun oder diese Phantasien des einsam in Charenton exzedierenden Grafen von Sade, sind die Helden und Heldinnen Wollüstige mit einem Hintergrund kleiner und wohlerzogener Gefühle, Wollüstige, die allerlei Kunststücke verstehen, aber von dem Bösen der Leidenschaft wie unberührt sind, das mauvais genre der Liebe nicht kennen oder nicht zu kennen scheinen. Die nicht sehr große Gesellschaft, aus der und für die geschrieben wurde, war in ihren Tiefen vielleicht nicht so, wie man sie beschrieb, ja, sie war gewiß nicht so, denn es lebte da ein Richelieu, aber sie akzeptierte durchaus die

Fiktion ihrer Schriftsteller und Maler und kleinen Poeten. Einer niedergehenden Gesellschaft fällt der Dändismus nicht schwer, und der wird ihre zusammenhaltende Kraft, wenn diese Gesellschaft so soziabel ist, wie es die französische des achtzehnten Jahrhunderts war, so eng miteinander verbunden durch den Adel, den Parasitismus, die Untätigkeit, die leise Angst und den Klatsch

so eng verbunden und so stark im einzelnen gerade dadurch getrennt und jeder auf sich selbst geworfen, wovon ihm die Lust der Analyse ebenso Erleichterung schaffen soll wie die Utopie vom natürlichen Menschen. Die amoureuse Logik dieser Romane ist alles, aber sie ist nie eine psychologische. Denn noch ist man sich nicht problematisch, lebt ganz present im Zustand und gar nicht vergangen in den psychologischen Kausalitäten.

In diese Landschaft konventioneller Gartenkunst fällt zerstörend ein Gewitter. Und ein Herr im Schäferkostüm, den man gerade noch Tirsis nannte, wirft sein Gewand ab, und es ist der Wolf. Dieses Ereignis heißt,,Les Liaisons dangereuses".

Kaum ein Maler der Zeit, der nicht die Bascule gemalt hat, und die Literatur beschrieb die Liebe nicht anders denn als ein solches Schaukelspiel, bei dem vom einen zum anderen ein wippendes Brett führt, das auf des Hahnreis Rücken balanciert. Des Spieles Zweck und Ende ist immer, daß oben einer ins Gleiten kommt und dem Kavalier unten in die offenen Arme rutscht; die Kleider geraten ein bißchen in Unordnung, man schreit ein bißchen, aber es klingt wie Lachen. Die Zuschauer und auch der Betrogene klatschen Beifall, und schon schaukelt ein neues Paar, da das andere sich in die Laube verlor, an deren Eingang Hymen eine Fackel senkt.

Zuerst meint man auch bei den ,,Liaisons dangereuses", man sähe der galanten Basküle zu und als spänne der Autor eine Intrige um ihrer selbst willen. Aber da fällt ein Wort, man sieht eine Bewegung, ein Gesicht, und was erst ein Spiel schien, ist ein richtiger Kampf. Es bewegen sich in diesem Buche nicht mehr

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