Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

und Laster der Vernünftigkeit, aber man muß auch sagen, daß er diese Maschinerien mit Grazie hantiert. Er hat eine sympathische Weise, sich aus dem Besonderen dem Allgemeinen zu nähern, und er erreicht schon viel damit, daß er nie frivol wird. Er will lieber oberflächlich erscheinen, als mit hohlem Klang Tiefe posieren. Er sucht nicht mit einem allzu sicheren Vortrag einer Meinung den Wert dieser Meinung zu übertreiben und den flüchtigen Dingen Gewalt anzutun. Er bleibt kühl und verbindlich, ein vornehmer Herr und wirft sich nicht in die Brust. Er spricht von der Schönheit und läßt mit feinen Bemerkungen, die keinen Lärm machen, die Möglichkeit ihrer begrifflichen absoluten Fassung problematisch. Er erzählt in den Briefen der Reise seine Eindrücke von den Franzosen, deren Tendenz zur Monomanie in der Literatur ihm damals schon auffällt, und schränkt alles Gesagte mit dem Worte ein:,,Jedes Volk ist gewohnt, durch ein eigenes Medium zu sehen." Seine Neigung zu den Allgemeinheiten ist für diese Zeit auffallend gering. Zur Philosophie als einem System hat er kein Verhältnis; auch nicht im Unglück verfällt er ihren tröstenden Verführungskünsten, die nur um den Wert des Unglücks bringen. Der Zwang eines Systems widerstrebt ihm, der die sichtbaren Wahrheiten der täglichen Offenbarung jenen erdachten Wahrheiten vorzieht, die nichts sonst beweisen als die Existenz ihres Erfinders. Er sagte da schon etwas, das man als die Maxime seines Lebens ansprechen kann: „Auf dem Sandfelde hinter meinem Hofe gelang es mir, durch Dünger, Kosten und Arbeit eine grasreiche, blühende Wiese zu schaffen; aber die Kunst, die Lüneburger Heide urbar zu machen, ist darum noch nicht erfunden. Wer in unserer Welt allein nach hoher Vollkommenheit ringt, wird viel Vortreffliches sagen und wenig Gutes tun." Das mag nicht hoffnungsvoll und mutig sein, an den Anfang eines Lebens gestellt und als dessen vorgewußtes Ziel erstrebt, aber aus den Sorgen des Lebens und eines wechselvollen Lebens, wie Sturz es hatte, ist es ein schönes Resultat,

diese Erkenntnis, daß wir aus dem Großen ins Kleine gehen, aus dem Schweifenden ins Ruhige kommen, aus der endlosen Weite ins Engbegrenzte: so wenigstens der, dem es das Leben gut will. Heute, da das Wort von der harmonischen Gestaltung des Lebens zu so billiger Popularität gekommen ist, mag es uns nicht sonderlich neu und tief vorkommen; vor dem Sturm und Drang war es beides. In einem anderen Aufsatz sagt Sturz dazu dieses :,,Eine Tat, welche deinem Bruder frommt und gedeiht, ist verdienstlicher als deine Herkulesarbeit zum Besten der Welt. Sei Mann deines Weibes, Vater deiner Kinder, Bürger deines Städtchens und lehre nicht gleich die Fürsten regieren. Das allgemeine Wohl hängt wahrlich nicht am Faden in der Hand irgendeines Genies, sondern tausend Räder wälzen sich unaufhaltsam fort, und das Universum wandelt unter dem Finger Gottes. Geister, die zerrütteten, umschafften, bildeten, sind zum Glück der Erde nur selten. Ja, wenn du die Geschichte nicht bloß an ihren Zipfeln anfaßt, wenn du nicht mit Einfällen über ganze Perioden hinfährst, sondern kalt und geduldig wägst, so findest du, daß die Halbgötter alle durch Glück und Zufälle mächtiger wirkten als durch eigentümliche Kraft."

Vielleicht gibt der Satz, den ich hier anführte, einige Vorstellung von der Art, wie Sturz schrieb, und deutet den Grund an, weshalb diese Art hoher Auszeichnung wert ist, gewertet an der deutschen Prosa irgendeiner Zeit, denn die des Sturz hat keine Zeichen des Alters. Als Schulbeispiel der besten Prosa jener Zeit gilt Lessing, und mit der Prosa Lessings kann man die des Sturz vergleichen, vermag man des anderen kritische größere Bedeutung auszuschalten. Da wird sie beim Vergleich gewinnen. Sturz schreibt klarer und mit jener Eleganz, die die Rede in guter Gesellschaft auszeichnet. Er hastet nicht, bleibt ruhig und gemessen. Auch wo er satirisch wird, zeigt er immer die Höflichkeit des Mannes von Welt, der sich selbst zu höflich behandelt, als daß er grob gegen andere werden könnte. Er bewahrt immer

die Haltung. Seine Sätze sind wie gesprochen und machen doch nicht unruhig. Er baut keine langen Buchperioden, die man nur mit dem Zeigefinger lesen kann, betont stark das Konstruktive seines Satzes, setzt an dessen Akzentstelle das inhaltlich wichtigste Wort und liebt es, einen Ausdruck in zwei Wörter zu zerlegen, womit er die deutsche Sprache reicher gemacht hat: was man in Grimms deutschem Wörterbuch verzeichnet finden kann. Aber

es sind dies wohl unnötig zu bemerken weniger Überlegungen als Art des Mannes, dem es, wie Goethe sagt,,,zuvor klar in seiner Seele ist" und der „,deshalb einen klaren Stil schreibt".

Ein merkwürdiges Urteil hatte Jean Paul über Sturz. Er sagt, Sturz,,erkältet mit dem Glanze einer herrlichen Prosa, die keinen neuen Gedanken zu offenbaren, sondern nur Welt und Hofwinkel zu erleuchten hat". Mag auch das Erleuchten dieser Winkel ein ganz so Verächtliches nicht sein, vielleicht liegt, daß man Sturz so ganz vergessen hat, daran, daß das, was er zu sagen hatte, nicht die Bedeutung der Art hatte, in der er es sagte, und daß, was er sagte, bald an die Fülle der Späteren verloren ging. Jean Paul hat das Schicksal so erfahren, daß er zu viel zu sagen hatte und alles unerträglich sagte, und daß man ihn so immer wieder vergaß. Es gibt der Stil manchen Werken für eine Weile und nur für eine Weile intensivstes Leben und große Aufmerksamkeit, andere tötet er zu früh. Die Ewigkeit haben die großen Bücher, die auch immer gutgeschriebene Bücher sind. Die kurzen Künste wirken nur eine Zeitlang als ein Ferment. Sturz gab, was er hatte: eine feine, nicht große, liebenswürdige, nicht sehr temperamentvolle Persönlichkeit, und seine Zeitgenossen lernten an der Gebärde, mit der er gab, was er hatte.

BRIEFE EINES DEUTSCHEN EDELMANNS

Frankfurt am Main, den 10. Mai 1777.

Hochwohlgeborener

gnädiger Herr Papa!

Ich hoffe, daß Sie diese Zeilen noch bei guter Gesundheit antreffen, denn ich bin auch noch wohlauf; aber ich habe eine beschwerliche Reise gehabt, und Frankfurt am Main ist eine schöne Stadt.

Auf des Postillons Rat trat ich in der besten Herberge ab, wo man elend iẞt und teuer bezahlt.

Hier hab ich mit Heinrich, dem Hausknecht, das Merkwürdigste besehen: die Kirche, wo sie den Kaiser gemacht haben, der sich aber nun in Wien aufhält, die güldene Bulle, die aber nicht von Gold ist, und den Römersberg, der nicht wie ein Berg, sondern wie ein Marktplatz aussieht.

Morgen geht meine Reise nach Frankreich mit dem Postwagen vor sich. Ich habe mit Micheln alles wohl überlegt, und meine Reisekutsche verkauft, denn das Geld ist am besten in der Tasche, wie Ew. Hochwohlgeboren Gnaden zu sagen pflegen, und auf dem Postwagen ist gute Gesellschaft, so daß mir die Zeit nicht lang werden wird. Ich grüße meine Schwester, Fräulein Lieschen, und die Tante, Hans Jürgen, und verbleibe jederzeit Ew. Hochwohlgebornen Gnaden

gehorsamer Diener und Sohn.

Paris in Frankreich, den 5. Juni 1777.

Mon reverend Père!

Werden aus den Titel ersehen, daß ich nun endlich in Paris angekommen bin. Ich dachte, daß es mit dieser Stadt kein Ende

nehmen sollte. Ich glaube, daß der Umpfang wohl 1000 Last Kocken Einfall hält.

Wir reisten Tag und Nacht, durch eine Menge Städte und Dörfer; der Henker mag alle die Namen behalten.

In Straßburg traf ich im Wirtshaus,,Zum Geist“ zwei junge Edelleute aus Sachsen an, der eine ein geputzter und gepuderter Bursch, der seine Muttersprache vergessen haben will; der andere eine sauertöpfische Stat von Kerl, hat in Göttingen studiert, und fragte mich, ob ich die Alten kennte? Mein Alter, sagte ich, ist der Baron Hunter auf Wildenheim, und ich heiße Junker Fritz, das werden Sie, denke ich, so gut wissen als ich. Hier hätten Sie das alberne Gelächter hören sollen.

Auf der Dielschanze von Straßburg nach Paris fand ich drei artige französische Herren. Der eine sprach gut deutsch und war mit einem Prinzen als Hom de Schamber (ist eine Hofbedienung) auf Reisen gewesen; der andere war der vornehmste Komödiant in Straßburg, der alles versteht, was die andern nicht wissen, denn ich habe es mit meinen Augen gesehen, daß er den Kopf aus der Diele steckte, und ihnen jedes Wort einblies. Der dritte war ein könglicher Tobakskommisarius und Visiteur. Außerdem war noch ein Frauenzimmer da, die mir mit ihren schwarzen Augen nicht übel gefiel, nur hätte ihre Wäsche reinlicher sein können. Sie ist, wie sie sagt, von einer vornehmen Familie, und hat eine Menge Bekannte unter den Offizieren in der Garnison.

Man kann nicht höflicher sein, als es meine Reisegefährten waren. Wenn ich lachte, so lachten sie mit; wenn ich gähnte, so rissen sie den Kinnladen auf, und wann ich nieste, so zogen sie die Hüte vom Kopf. Niemand hatte bessere Tage als Michel.

Der Hom de Schamber kämmte mich zuerst, und der Königliche Kommisarius trug mir die Sachen vom Wagen; ich mußte darum höflich sein, und die Herren frei halten. Aber das Geld ist nicht weggeworfen, denn ich habe dreimal mehr französisch

« ZurückWeiter »