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Ausgeschlossenen mußten, von der starken Hand der Not in eines gepreßt, zur Leidenschaft werden, zu einer Qualität der Seele, die sich nicht mehr in die Empfindsamkeit parodieren. ließ. Eine lange Zeit starrte das Volk mit seinem Hunger und seiner Neugier in die Fenster des Pavillons, in dem die kleine Gesellschaft ihre Feste feierte, aus der die eine, der andere mit einer Vorliebe für den Schweißgeruch der zerlumpten Zuschauer gefährlich kokettierte, deren Neugier an dem Bilde sich nicht sättigte, sondern zur Unsinnigkeit sich erregte, bis es geschah. Da dann die Leidenschaft die Fenster einschlug, groben Unfug mit den Damen und Herren trieb, die sich mit Fächern und Degen nicht wehren konnten, den Wein auslaufen ließ, der in Fässern und Bäuchen lag, zerbrach, was für ihre roten, plumpen Hände zu zierlich war, vernichtete, was zu gebrauchen ihr jede Bildung des Geschmackes fehlte, parodierend auf der Straße nachäffte. Die ausgehungerte Leidenschaft zündete, was blieb, mit den letzten wohlriechenden Kerzen an, die sich fanden. Einige der Tafelnden waren gleich davongelaufen, andere haben bei dem Drunter und Drüber den Kopf verloren und nicht mehr gefunden und manche, die Koketten, halfen der Leidenschaft mit der Hysterie ihrer feinen Nerven.

Auf diesem Hintergrund steht halb im Dunkel, halb im Licht die Nachtgestalt Rétifs und wirft ihren bizarren Schatten ins kommende Jahrhundert.

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DIE UNBEKANNTE

ie Liebe macht alle Menschen gleich. Aus Liebe seufzen Könige zu Füßen einer Hirtin, aus Liebe finden unbändige Despoten Asiens ihre Glückseligkeit in dem Lächeln einer Sklavin; so hat Mutter Natur es gewollt. Ihr Sterblichen, segnet sie!

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An einem schönen Sommerabend, gegen sieben Uhr, ging ein elegant gekleideter junger Mann auf dem Boulevard du Temple spazieren, als er ein junges Mädchen bemerkte, das bürgerlich, aber sehr sauber angezogen war und seine Schritte beschleunigte, um sich den indiskreten Bemerkungen zweier junger Lebemänner zu entziehen. Graf de la S. das ist der Name meines Helden -war überrascht, daß junge, vornehm aussehende Männer ein liebenswürdiges Mädchen in dieser Weise belästigen konnten. Er sprach sie an und machte ihnen Vorstellungen, wurde aber ziemlich schroff von ihnen zurückgewiesen. Er hielt sich nun nicht weiter damit auf, ihnen im gleichen Tone zu antworten, sondern eilte der Dame nach und bat sie um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen. Eine kurze Antwort, die mit einem lieblichen Erröten gegeben wurde, bewilligte ihm dies. Der Graf knüpfte eine Unterhaltung mit ihr an und zeigte sich sehr rücksichtsvoll; das junge Mädchen legte Bescheidenheit und Anmut an den Tag. So kamen sie an ein neuerbautes Haus in der Rue de la Lune. Dort dankte das junge Mädchen ihm für seine freundliche Begleitung und trat dann in das Haus. An der Tür sagte der Graf zu ihr:,,Muß ich auf das Glück verzichten, Sie wiederzusehen? Sie werden doch nicht so grausam sein, mir das Liebenswerteste, was die Natur geschaffen, nur gezeigt zu haben, nur, damit ich ewig bedauern müßte, es verloren zu haben ?",,Glauben Sie mir, mein Herr," war die Antwort,,,jeder weitere Verkehr zwischen uns ist un

möglich. Machen Sie sich also keine Kopfschmerzen, die doch zu keinem Ergebnis führen würden!"

,,Legt Ihnen Bangigkeit gegen meine Person diese Worte in den Mund? Bitte sagen Sie es mir! Das wäre der einzige Grund, vor dem ich verstummen könnte, und dem ich mich ohne weiteres unterwerfen würde."

,,Sie würden mir doch nicht glauben, wenn ich Ihnen solche Lügen sagen würde", erwiderte das Mädchen und verschwand auf der Treppe. Der Graf hörte, wie sie im zweiten Stock anklopfte, wie eine Tür sich öffnete und kräftig wieder zugeschlagen wurde. Er war im ersten Augenblick versucht, ihr nachzugehen und einen Besuch zu machen, fürchtete dann aber, die liebenswürdige Unbekannte dadurch zu kränken. Dafür nahm er sich aber vor, herauszubekommen, wer sie sei. Er fing auf der Stelle mit seinen Nachforschungen an und erkundigte sich bei einer benachbarten Obsthändlerin; diese antwortete, das neue Haus sei erst seit wenigen Tagen bewohnt, und sie kenne noch keinen von den Bewohnern.

Der Graf kehrte nach Hause zurück und dachte über sein Abenteuer nach. Er beschloß, das betreffende Viertel häufig wieder aufzusuchen; das tat er denn auch, aber alle seine Mühe war umsonst. Endlich verlor er die Geduld, betrat eines Tages das neue Haus und klopfte an die Tür im zweiten Stock, durch die die schöne Unbekannte verschwunden war. Ein Greis öffnete ihm. Der Graf blickte um sich, ob er nicht den Gegenstand seiner Wünsche entdecken könnte, bemerkte aber nichts von ihr. So faßte er einen kurzen Entschluß und fragte nach der jungen Dame, die an dem und dem Tage, um die und die Stunde diese Wohnung betreten habe. Eine alte Magd, die das Gespräch mit angehört hatte, sagte zu ihrem Herrn:

,,Das war Fräulein Cécile," worauf der alte Herr bemerkte: ,,Mein Herr, wenn Sie der Dame etwas mitzuteilen haben, so betrauen Sie mich damit oder schreiben Sie mir. Die Dame

ist nämlich nicht meine Tochter, wohnt auch nicht hier. Sie ist nur fünf- oder sechsmal dagewesen, um mir eine Unterstützung zu überbringen, die ihr Vater mir gewährt.“

,,Können Sie mir nicht ihren Namen und ihre Wohnung sagen "

,,Das ist mir völlig unmöglich."

,,Wie, nicht einmal diesen kleinen Gefallen wollen Sie mir erweisen ?"

,,Ich wiederhole, es ist mir unmöglich, sonst würde ich mich nicht so drängen lassen."

Nun entschloß der Graf sich, an sie zu schreiben und den Brief dem alten Mann zur Besorgung dazulassen. Er schrieb folgendes:

,,Mein Fräulein, der Herr, der die Ehre hatte, Sie Dienstag abend auf dem Boulevard zu begleiten, ist täglich in dasselbe Viertel gekommen, in der Hoffnung, Sie wiederzusehen. Sein böses Geschick hat dies aber nicht gewollt. Wollen Sie selber mir nun vergönnen, was der Zufall mir versagt? Ich muß Sie sprechen, wäre es auch zum letztenmal. Es kann in Gegenwart des ehrwürdigen Greises geschehen, bei dem ich diese Zeilen. schreibe. Ich habe Ihnen Wichtiges mitzuteilen, und es wäre unrecht von Ihnen, mir meine Bitte zu verweigern.

Ich bin in aller Hochachtung

Ihr Graf de la S."

Am andern Morgen stellte er sich wieder ein, um zu erfahren, ob die schöne Unbekannte gekommen wäre. Gerade als er in das Haus eintreten wollte, sah er sie aus demselben herauskommen. Er eilte auf sie zu und bat sie in so eindringlicher und zartfühlender Weise um einen Augenblick Gehör, daß sie ihm seine Bitte nicht gut abschlagen konnte. Sie stiegen also zusammen in die Wohnung des alten Herrn hinauf, und dort hörte die Schöne aufmerksam den Grafen an. Er schilderte ihr seine

Gefühle so kräftig und nachdrücklich, wie es gewöhnlich Liebende tun, die auf unerwartete Hindernisse stoßen. Sie ließ ihn sich aussprechen, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen, sei es, daß seine Reden ihre Teilnahme erweckten, oder daß sie ihm alles, was er ihr zu sagen hatte, auf einmal sagen lassen wollte. Dann erwiderte sie:

„Ich bin, mein Herr, nicht unempfindlich gegen die schmeichelhaften Beweise Ihrer Teilnahme für mich. So freundliche Gefühle müssen meine Dankbarkeit hervorrufen, aber wären dieselben noch inniger, ja, würde ich Sie selbst lieben, so könnte doch von einer Verbindung zwischen uns nicht die Rede sein!" ,,Gerechter Himmel! Wollen Sie mich denn zur Verzweiflung bringen ?"

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,Glauben Sie mir, mein Herr, wir dürfen uns nicht wiedersehen, und ich bitte Sie, in Zukunft keine weiteren Annäherungsversuche mehr zu machen, sondern mir lieber aus dem Wege zu gehen.“

,,Ich begreife Sie nicht, verehrtes Fräulein."

,,Ich darf mich nicht näher erklären."

,,Und ich werde niemals aufhören, Sie zu verehren und mich an Ihre Fersen zu heften. Ich will Ihren Widerstand überwinden oder sterben."

,,Oh! Wenn Sie wüßten, was Sie verlangen!" flüsterte die schöne Unbekannte mit einem leichten Seufzer.

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Wie! Wären Sie vielleicht ein Mann ?"

,,Denken Sie das nur, das wäre besser."

,,Dann... seien Sie mein Freund und teilen Sie mit mir alles, was ich mein nenne... Aber das ist ja unmöglich!" fügte er hinzu, mit einem Blick auf ihren vor Erregung wogenden Busen.

,,Mein Gott," erwiderte sie,,,wird es mir denn nicht gelingen, Sie von mir zu entfernen ?"

,,Nein, nein, niemals! Ich gehöre Ihnen für das ganze Leben an."

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