Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Aber eines Abends sah er, wie sie, gleich nachdem er von ihr Abschied genommen hatte, von einem Mann belästigt wurde, der aus einem Kabriolett sprang. Er wußte nicht, was er tun sollte, da ihm noch der Vorfall von jenem Abend in der Erinnerung war. Während er noch unschlüssig dastand, hörte er die Valbrune rufen:,,Zu Hilfe, Herr Graf!" Das genügte. Er stürzt sich auf ihren Angreifer, schlägt ihn zu Boden, nimmt Valbrune in seine Arme und eilt mit ihr davon. Als sie bei der Porte SaintDenis außer Gefahr waren, setzte er sie nieder und sagte zu ihr: ,,Befehlen Sie über mich. Soll ich Sie begleiten? Soll ich Sie verlassen? Mir ist alles gleich, wofern ich nur Ihnen dienlich sein kann."

„Es gibt keinen zweiten Menschen wie Sie auf der Welt,“ erwiderte Valbrune, noch am ganzen Leibe zitternd,,,und so will ich jetzt kein Geheimnis mehr vor Ihnen haben. Begleiten Sie mich. Sie haben mich aus den Händen meines Todfeindes errettet!"

Sie bogen in die Rue de *** ein, und Valbrune klopfte an ein Tor. Ein Lakei öffnete.

,,Ist der Herr schon zu Hause ?"

,,Nein, Madame."

,,Der Herr ist mein Gatte," erklärte sie dem Grafen,,,er hat mich aus Liebe geheiratet, ohne mich zu kennen. Unsere Ehe ist in den Augen der Menschen vielleicht keine ganz gültige, aber mein Gewissen ist ruhig. Eine der Bedingungen, unter denen ich eingewilligt habe, mich ihm zu ergeben, besagt, daß ich täglich den alten Mann besuchen darf, den wir soeben verlassen haben, und daß mein Mann sich nie nach ihm erkundigen darf. Oft hat er mich dorthin begleitet, und was er da sah, hat ihm volles Vertrauen zu mir eingeflößt. Er weiß, daß ich dort meine Freundin treffe, und hat mich oft gebeten, sie in unser Haus zu führen. Da er aber bemerkte, daß ich dies nicht beabsichtigte, so hat er nie wieder darauf gedrängt. Er ist der beste

Mann von der Welt! Da ich nun einmal eingewilligt habe, mich von Ihnen begleiten zu lassen, so werden Sie die Güte haben, auf ihn zu warten. Denn ich will vor ihm kein Geheimnis haben, mit Ausnahme des großen, undurchdringlichen, das auch sein Glück zerstören würde."

Während sie noch so sprach, wurde das Tor wieder geöffnet. „Das ist mein Mann," sagte die Valbrune und lief dem Eintretenden entgegen.

,,Mein Freund," sagte sie zu ihm,,,hier stelle ich dir einen Kavalier vor, der mich nach Hause begleitet hat. Es ist derselbe, mit dem ich oft bei dem alten Mann speise, der Geliebte meiner einzigen Freundin... Dieses Wort wird dir alles sagen."

Valbrunes Gatte begrüßte den Grafen auf das herzlichste. Sie unterhielten sich höflich einige Minuten, bis der Graf sich verabschiedete.

[ocr errors]

„Leben Sie wohl, lieber Graf," sagte la Valbrune zu ihm, wenn Sie Cécile vor mir sehen, so erzählen Sie ihr schonend, was sich ereignet hat. Sagen Sie ihr auch, daß meine Besuche von jetzt an seltener sein werden, und daß ich ihr daher den alten Mann doppelt warm empfehle. Sehen Sie zu, daß Sie sich schnell verheiraten, so wie wir. Sie könnten dann in der Nähe eine Wohnung nehmen, und wir würden täglich zusammenkommen... Doch kein Wort zu Cécile, daß ich es war, die Ihnen diesen Rat gegeben hat!... Leben Sie wohl, gehen Sie schnell fort."

Der Graf war über diese Worte sehr überrascht, aber er nahm sich vor, den Rat zu befolgen und zu diesem Zweck vor allem herauszubekommen, wie es sich mit der Heirat der Valbrune

verhalte.

Der Vorfall war an einem Sonnabend geschehen. Am Sonntagmorgen hatte er in der Faubourg Saint-Laurent zu tun. Er befand sich in der Nähe der Kirche, als er sah, daß Cécile diese gerade verließ. Sie hielt ihr Taschentuch vors Gesicht, als ob

sie ein Erröten oder Tränen verbergen wollte. Der Graf geriet in Versuchung, sie anzusprechen, doch hielt ihn die Vernunft davon zurück. Er ging in die Kirche, um ihr, falls sie ihn bemerkt hatte, durch irgendein Wahrzeichen beweisen zu können, daß er ihr nicht gefolgt sei. In dem Augenblick, als der Graf eintrat, bestieg der Vikar gerade die Kanzel. Er fing mit einem sonderbaren Aufgebot an, in dem er verkündigte: der Scharfrichter habe eine Tochter zu verheiraten, der er eine Mitgift von 30 000 Franken gebe; es werde nun ein ehrlicher Mann für sie verlangt von guten Sitten, gutem Charakter usw.

,,Bei Gott," sagte der Graf bei sich selber,,,besser konnte ich es nicht treffen! Nun kann ich Cécile beweisen, daß ich ihr nicht gefolgt bin, indem ich ihr erzähle, daß ich diesem sonderbaren Aufgebot beigewohnt habe." Er hörte noch eine Viertelstunde die Predigt mit an, besorgte dann seine Geschäfte und begab sich endlich in die Wohnung des Greises. Dort traf er bereits Cécile an, die erregter war denn je. Er dachte, sie wisse bereits von dem Vorfall des vorigen Abends, und fing davon an, aber sie wußte noch von nichts, und er mußte ihr die Einzelheiten berichten, wobei er betonte, wie sehr er Valbrunes Gemahl um sein Glück beneide.

,,Lieber Freund," erwiderte Cécile darauf,,,ich bin sehr aufgebracht über die Unvorsichtigkeit und Indiskretion meiner Freundin, aber beneide nicht die beiden um ihr Los; ich werde dir ein viel süßeres auch ohne Heirat bereiten."

[ocr errors]
[ocr errors]

,Ohne Heirat! Nein, das lehne ich ab."

Verblendeter! Glaubst du denn, ich würde deine Hand ausschlagen, wenn ich sie annehmen könnte? Was hat die Valbrune angerichtet! Welchem Unheil setzt sie mich aus!..."

,,Sie ist nicht meine Geliebte und hat doch mehr Vertrauen zu mir als du!"

Vertrauen! Ach! Ich würde mehr Vertrauen zu dir haben als irgendeine Frau der Welt, wenn solches Vertrauen wirklich

einen Beweis meiner Liebe bedeutete... Geliebter! Bist du deines Glückes schon überdrüssig? Sage, langweile ich dich? Du bist mein Glück... genügt dir das nicht?"

,,Wenn ich heute früh gewollt hätte, so gäbe es kein Geheimnis mehr für mich. Ich habe dich getroffen..

[ocr errors][merged small]

...

,,Ich habe dich aus der Kirche kommen sehen, habe aber, deinem Gebote getreu, keinen Schritt getan, dir nachzugehen. Ich bin in die Kirche getreten, um dir Zeit zu lassen, zu verschwinden. So habe ich gehandelt, und solltest du daran zweifeln, dann kann ich es dir beweisen."

,,Deine Diskretion, teurer Freund, kommt dir selbst zugute; sie macht dein Glück aus, denn wenn du anders handeltest, so würdest du selber einen glücklichen Traum zerstören. Ich, Geliebter, liebe dich abgöttisch: treu und liebevoll machst du mich glücklich; wärst du ungetreu und wankelmütig, würde ich dich auch dennoch lieben und von meinen Hoffnungen leben; wenn ich aber deine Achtung verlöre, dann bliebe mir nur der Tod... Du willst mir beweisen, daß du mir nicht nachgegangen bist, doch ich glaube dir, ich glaube dir, denn du würdest mich ja nicht mehr lieben, wenn du mich täuschtest..."

,,Mein Beweis? Ich habe den Vikar von der Kanzel herab verkünden hören, daß die Tochter des..."

,,Halt ein, halt ein," unterbrach Cécile ihn, bleich wie der Tod. Sie war einer Ohnmacht nahe, doch erholte sie sich allmählich wieder. Der Graf bemühte sich zärtlich um sie, ganz betroffen von der Aufregung, die sie erfaßt hatte. Er sprach von Heirat zu ihr, einer heimlichen, einer öffentlichen, mit oder ohne Formalitäten - kurz, er zeigte sich zu allem bereit, was Cécile bestimmen würde; aber er verlangte, daß endlich eins oder das andere geschehe. Cécile verteidigte sich, solange sie konnte, willigte aber schließlich in eine geheime Eheschließung ohne alle Formalitäten, die also vollkommen ungültig sein mußte.

[ocr errors]

Der Graf machte diesen Einwand, sie entgegnete aber, sie wolle es so.

,,Nun, du göttliches Weib," sagte er darauf, indem er sie in seine Arme schloß,,,dann sei es so. Ich sehe, es ist das beste, ich überlasse mein Schicksal dir allein. Mach mit mir, was du willst, meine Cécile! Sei mein Schutzgeist und meine Königin!...“

Cécile wollte ihm antworten, da klopfte es. Sie glaubten, es sei die Valbrune, aber in der Tür stand ein Mann. Es war der Mann, der am Abend vorher die Valbrune angegriffen hatte.

,,Ist das der Graf de la S..., "fragte er,,,den ich zu Füßen der Tochter des Henkers sehe? Gestern reichte er seinen Arm einer anderen, die dieser alte Schuft da vom Galgen rettete..."

,,Halt," rief der Graf,,,du Elender! Mag, was du sagst, wahr oder erlogen sein, sie ist meine Frau, hab' Achtung vor ihr! Die Geschichte der anderen kannte ich, ohne zu wissen, daß es sich um sie handelte: sie ist unschuldig, und du bist ein Scheusal. Flieh! oder du bist ein Kind des Todes!"

,,Fliehen?" erwiderte der schändliche Ankläger der Valbrune,,,ich habe einen Degen an meiner Seite!"

Der Graf riß sich aus den Armen Céciles, die ihn zurückhalten wollte, und stürzte hinter dem Verleumder her, den er auf der Straße stellte. Der Kampf war kurz. Der Graf brachte seinem Gegner einen tödlichen Stoß bei und streckte ihn neben dem Wagen, der ihn hergebracht hatte, zu Boden. Er konnte noch seinem Diener befehlen, ihn nach Hause zu fahren; dort starb er.

Die Sache wurde totgeschwiegen, weil die Familie des Toten, die ohnehin nicht an die Schuld der Valbrune glaubte, fürchtete, der Graf möchte, wenn er angeklagt würde, die alte Geschichte wieder vorbringen und die Unschuld des Mädchens beweisen können.

Doch wenden wir uns wieder an Cécile. Sie war während des Zweikampfs in Ohnmacht gefallen. Als sie wieder zu sich gekommen war, sah sie sich in den Armen des Grafen.

« ZurückWeiter »