Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

fremder Ideen, die sich nicht mit dem wirklichen Leben vertragen; daher die entzündete Einbildungskraft, der Zug nach großen Gegenständen. Weder Menschenfeindschaft noch Verdruß hat mich von den Menschen getrennt, sondern eine gewisse Liebe zur Ruhe, eine unbezwingliche Neigung zur Freiheit. Ich habe darum nur schwache Schritte gewagt, um irgendein Glück in der Welt zu machen, und der Versuch mußte mißlingen, weil ich mich links dabei nahm; so ward ich nach und nach der Gesellschaft und der Menschen überdrüssig. Ich versammelte einen Kreis schimärischer Wesen um mich her; ich schuf mir eine idealische Welt, die nichts mit der wirklichen gemein hatte. Ich erheiterte dadurch meine Einsamkeit; aber alles war noch verwirrt und unentwickelt in meiner Seele, bis ich im Jahre 1750 eine Reise nach Paris unternahm, um Diderot im Gefängnis zu Vincennes zu besuchen. Ich nahm ein Journal zum Zeitvertreib mit und fiel auf die Preisfrage von Dijon, ob die Wissenschaften nützlich oder schädlich seien? Da stellten sich mir auf einmal die mannigfaltigen Übel des gesellschaftlichen Lebens so fürchterlich und eindringlich dar, daß ich unter meiner Empfindung erlag. Ich warf mich neben einen Baum nieder; alles Elend der Menschen zog in schrecklichen Gestalten vorüber; hundert Anschläge und Entwürfe folgten, und das war mein Beruf zur Autorschaft; meine Hantierung als Notenabschreiber hat solchen nicht veranlassen können. Ich war nicht geübt in der Gesellschaft zu reden. Ich verstand es nicht, durch Witz und Einfälle zu glänzen; und so stellte sich im Anfang der Ausdruck langsam dar. Es wäre mir unmöglich gewesen, einen Plan zum literarischen Ruhm vorsätzlich zu entwerfen; es war Drang1, meine Ideen loszuwerden, der mich zum Schreiben nötigte; und wenn ich mit einiger Stärke schrieb, so war ich sie der Überzeugung von der Wahrheit meiner Sätze schuldig. In der Zerstreuung von Paris, im Zwang und Geräusche der 1 Nicht Drang und Sturm, das ist eine Kinderkrankheit.

großen Welt, wo mich manches zum Unwillen reizte, schlich sich Bitterkeit in meine Schriften; aber in Montmorency war ich frei und ganz mir selbst überlassen. Meine Seele war heiter, wie die Luft, die mich umgab, und breitete sich auf meinen einsamen Spaziergängen über die ganze Schöpfung aus. Ich verlor mich in Betrachtungen über die Welt; ich erhob mich bis zum höchsten Wesen; ich wurde von seiner Erhabenheit, von seiner Allgegenwart durchdrungen; ich empfand die ganze Wollust der Menschheit im Gefühl der Liebe gegen meine Brüder, im Genuß der unermeßlichen Natur; ich redete zum Menschen, zum Bürger, zu den Fürsten, zu den Priestern; ich sprach zu den Vätern, zu den Kindern; ich sprach zu meinen Landsleuten, zum Rat von Genf in der Zueignungsschrift meines Buches über die Ungleichheit der Stände, zum Volk in der Schrift über die Schauspiele: alle nahmen meine Freiheit übel, und das Ungewitter zog sich auf, bis es endlich zu gleicher Zeit in Paris und Genf auf mich stürmte. Ich kann dem Parlamente vergeben, weil man es hintergangen hat; aber der Rat von Genf wollte mich zum Fußschemel brauchen, um sich auf den Thron der unumschränkten Gewalt zu erheben." Er unterbrach sich hier im Lesen, und rief mit Heftigkeit:,,Ich werde frei sterben, meine Freunde, und lieber in einem katholischen, als in einem protestantischen Lande; denn die katholischen Geistlichen lehren die Intoleranz, und die protestantischen üben sie aus.“ Er fuhr zu lesen fort:

[ocr errors]

Was mich immer in meinem Leben am stärksten rührte, war Gewalt und Ungerechtigkeit. Wenn ich aus meinem Fenster sah, wie man die Unschuld kränkte, den Schwachen und den Armen quälte, war ich oft so aufgebracht, daß ich's kaum über mich gewinnen konnte, nicht hinzulaufen, zuzuschlagen, und dem Unterdrückten beizustehn. Daher rührt mein unüberwindlicher Haß gegen alle Große, und gegen den hohen Rang überhaupt, weil der Geist der Unterdrückung von diesem Stand nicht zu trennen

ist1. Ein gewisser Stolz, der mich immer trieb, den Menschen in dem Menschen aufzusuchen, machte, daß ich es nie lernen konnte, den Gedanken der Abhängigkeit zu ertragen. Der Herzog von Luxemburg und seine Gemahlin haben mich mit Freundschaft überhäuft; aber ich mußte mich zwingen, ihren Rang zu vergessen, sie nur als gute Menschen anzusehn, und endlich war es doch ihr Stand, der mich bewog, eine Wohnung in ihrem Hause auszuschlagen; denn ich merkte, daß mir jede Kette, auch die des Wohlstands und der Sitten, im Umgang mit Höhern unerträglich war. Ich habe darum den Genuß der Freiheit allem vorgezogen, und ich habe dieses Glück geschmeckt; denn ich riẞ mich von allen Verbindungen, von allen Fesseln der Gesellschaft los, und glücklicher war kein Sterblicher, als ich in Montmorency, wenn ich nach einem im Gefühl der Unschuld verflossenen Tag, und einig mit der ganzen Schöpfung, des Abends mit meiner Haushälterin, meinem Hund und meiner Katze speisete."

Als er den Brief gelesen hatte, sprach er lächelnd: „Ich rede selbstgefällig von mir, und das ziemt niemanden, als Montagnen." Man erwähnte des Unterschieds zwischen dem Weisen und dem Gelehrten. „Der erste“, sagte Rousseau,,,ist nicht allein von dem wichtigsten Interesse der Menschheit unterrichtet, sondern auch entschlossen, nach seiner Einsicht zu handeln ; und darin stehen die Neuern zurück. Die großen Leute unter den Alten führten aus, was sie lehrten; wir verstehen nur darüber zu schwatzen." Es wurde im Verfolg der Unterredung der widersprechenden Lehrgebäude in jeder Wissenschaft gedacht; hierbei merkte Rousseau an:,,daß ein aufrichtiger Wahrheitsforscher von Tatsachen, und nie von einer Spekulation ausgehen müsse".

,,Bacon", fuhr er fort,,,fand darum nur soviel zu erfinden und zu denken, weil er Erscheinungen miteinander verglich, und er 1 Außer, wenn ihn der Geist des Wohltuns überwältigt. Dies ist eine von Rousseaus einseitigen Meinungen, welche, zum Glück der Erde, nur halb wahr sind. 2 Und einem einzigen großen Mann, der, vielleicht um den Neid zu versöhnen, sich dadurch wieder zu den Sterblichen herabläßt.

würde noch in unserm Jahrhundert ein außerordentlicher Mann gewesen sein. Montesquieu hat sein vortreffliches Werk auf eigene Beobachtungen gegründet; aber da er in der großen Welt lebte und äußerst zerstreut war, so schrieb er nur stoßweise und vernachlässigte die Übergänge."

Man bemerkte bei der Gelegenheit, daß im Contract social eine herrliche Verbindung herrsche.,,Das finden die Juristen nicht," antwortete Rousseau.,,Ihnen kömmt die Schrift verwirrt und dunkel vor, denn sie gehen lieber von ihrem Text, als von der menschlichen Natur aus, und es ist wirklich schwer, einen moralischen Grundsatz aufzufinden, der nicht durch die Begriffe aus der gebildeten Gesellschaft verunstaltet ist. Wir fangen kaum an zu empfinden und zu denken, so sind wir schon fern von der Natur; darum muß der innere Menschensinn, auch nur in der einfachsten Beziehung, immer ungewiß und zweideutig sein." Zu einer andern Zeit erzählte er, wie er zu arbeiten pflege:,,Ich überdenke", sprach er,,,lange meinen Gegenstand, bis ich vertraut mit ihm werde, bis er mich an sich fesselt, mich entzündet. In meinen Spaziergängen werf' ich dann meine Einfälle aufs Papier; nach einiger Zeit überseh ich alles, wähle, verwerfe und setze zusammen. Ich fange mit der Materie an und endige mit dem Plan. Ich begreife nicht, wie man es wagt, ein Buch ohne Stoff und Ideen zu schreiben, wie man seiner Sache gewiß ist, wenn man nur erst die Fächer geordnet, die Zellen gebaut hat, in die man dann ein wenig geraubten Honig trägt. Stoff und Begriffe sammelt man nur in einer sehr mannigfaltigen Welt. Ich habe mit Hofleuten, mit Leuten von Stande, mit schönen Geistern, mit Bürgern und Bauern gelebt. Ich begehrte nichts, ich wünschte nichts; man ertrug mich und verstellte sich nicht. Ich konnte also beobachten; aber ich hätte nicht vermutet, daß man diese Neugierde so übel nehmen würde. In der Heloise habe ich dem Weltmenschen und dem Heiligen geprediget, daß sie sich einander ertragen möchten, und beide fielen über mich her."

Man lenkte das Gespräch auf seinen Emil.,,Er enthält", sprach er,,,den Plan einer negativen Erziehung für einen abgesonderten Menschen. Für einen Mann zu bürgerlichen Geschäften würden zwar die Grundsätze einerlei, aber die Anwendung müßte verschieden sein. In einer Nationalerziehung müßte man alle Hilfsmittel zum guten benützen, die man in den Sitten und in der Verfassung einer jeden Gesellschaft findet, und die Liebe zum Ruhm nicht ausschließen. Man glaubt", fuhr er fort,,,an eine natürliche Ungleichheit der Menschen; aber wir sind nach unserm Geistesvermögen einander ähnlich genug; alles hängt von den äußern Umständen ab, welche dieses Vermögen entwickeln. Die Wilden sind darum am Körper und am Geiste gleich; da waltet die ungestörte Natur. In unsern Staaten teilt man die Menschen in Klassen, wie Geschöpfe von verschiedener Gattung, und richtet jede mühsam ab, nach hergebrachten Vorurteilen; endlich wird man die künstliche Trennung gewahr: man will alsdann wieder vereinigen, durch Nachahmung, Wohlstand, Höflichkeit und Formalität, aber das ist ein erzwungenes Band. In der Republik des Platons vereinigte die Tugend alles1, und nur das Laster zerriß. Es war ein herrlicher Einfall, daß er seine Menschen durch Musik und durch Gymnastik erzog; dadurch gab er ihnen Trotz und Kraft, und stimmte sie wieder harmonisch zu sanften Gefühlen."

Über die Musik sind Rousseaus Grundsätze bekannt. Unter den größten Komponisten verdient ihm Hasse einen erhabenen Rang; Händel ist der Lulli der Deutschen; Rameau hat, den Generalbaß ausgenommen, sein ganzes System auf Sophismen gebaut, und die Franzosen werden nie in dieser Kunst etwas ausrichten. Indem er von Sophismen sprach, merkte er an, daß die metaphysischen Abstraktionen nur glänzende Schimären sind.

1 Und blieb darum ein Traum.

2 Helvetius sagt richtig, sie schöpfen aus dem Brunnen der Wahrheit, mit dem Gefäß der Danaiden.

« ZurückWeiter »