Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Marsal. Sie haben diese Strenge nie empfunden, denn sie hat Sie stets wie ihre Tochter angesehen.

Vicomtesse. Ich bewahre die Dankbarkeit, die ich ihr schulde, aber sie wäre noch größer, wenn sie sich nicht gegen einige meiner Freunde ausgelassen hätte.

Marsal. Gegen ihre Freunde hat sie sich nie ausgelassen. Aber sie hat vielleicht nicht all Ihre Bekannten verschont, denn Sie haben jetzt eine so zahlreiche Bekanntschaft, daß dies entschuldbar ist.

Mirville. Das ist trotzdem nicht christlich. Was mich anbetrifft, so finde ich sie nicht im Unrecht, wenn sie mir übel will; denn ich betrachte sie nicht als meinen Nächsten, auch Madame de Rufée nicht; und zwar weil ich ein guter Christ bin und meinen Nächsten lieben möchte.

Marsal. Werden Sie morgen bei Ihrer Schwiegermutter zu Abend essen?

Vicomtesse. Ich glaube

aber ja, natürlich!

Marsal. In diesem Fall werde ich mir die Ehre geben, Ihnen Guten Abend zu sagen. (Geht.)

Elfte Szene

Vicomtesse, Mirville.

Vicomtesse. Es tut mir leid, daß Marsal Sie hier traf. Mirville. Warum? Habe ich mich nicht ausgezeichnet gehalten?

Vicomtesse. So, daß Sie damit anfingen, ihn zu reizen, und darin taten Sie Unrecht, denn er ist entschieden eifersüchtig auf Sie. Mirville. Ich glaube ihn da im Unrecht, denn Sie fürchten ihn mehr, als Sie mich lieben.

Vicomtesse. Sie würden es verdienen, wenn Sie so dächten. Sagen Sie das nicht ernsthaft, Sie tun mir weh.

Mirville. Ich bitte um Verzeihung (ihr die Hand küssend).

Vicomtesse (zärtlich). Sie wissen gar nicht, Sie schlechter Mensch, wieviel Leid Sie mir zufügen, wieviel Sorgen! Und die größte ist, Sie verlieren zu müssen, - das geht über meine Kraft. Marsal, meine Schwiegermutter, Frau v. Rufée, alle gefallen sich darin, mich Ihretwegen in Angst zu bringen und raten mir, Ihnen meine Türe zu verschließen, und doch sind Sie schon zum zweiten Male heute in meinem Zimmer.

Mirville (kniet). Wie schön Sie sind! wie liebenswürdig! Küssen Sie mich, mein Engel, küssen Sie mich, wenn Sie mich lieben. Vicomtesse (küßt ihn errötend auf die Stirne). Stehen Sie auf, es könnte jemand kommen.

Mirville. Wäre es sehr schlimm, wenn ich Ihre Türe zusperrte ? Der Großpapa, der Kapitän, die Rufée, Marsal, alles das war schon da, und Ihre Schwiegermutter ist krank.

Vicomtesse. Man wird Ihren Wagen sehen.

Mirville. Ich habe eine Mietskutsche.

Vicomtesse. Es ist nicht recht, aber Sie wollen es und so muß es sein. Hören Sie, ich werde eine Liste aufsetzen von allen, die nicht kommen dürfen, das wird das beste sein. (Schreibt) Läuten Sie. (Diener.) Man soll nur diejenigen einlassen, die auf der Liste stehen. (Sie kommt zu Mirville und macht einen Knix vor ihm.) Sind Sie zufrieden? Glauben Sie, daß ich Sie zu dieser Stunde liebe ? Mirville (nimmt sie in die Arme). Mein Engel, ich glaube es. Vicomtesse. Nehmen Sie mich nicht so, ich will das nicht, lassen Sie mich.

Mirville. Es macht mir zu viel Vergnügen.

Vicomtesse. Lassen Sie mich und ich werde Ihnen etwas sagen.

Mirville (zeigt auf einen Stuhl neben sich). Kommen Sie, setzen Sie sich hierher.

Vicomtesse. Nur wenn Sie brav sein wollen.

Mirville. Ich werde brav sein.

Vicomtesse. Man hat mir heute eine reizende Liebeserklärung gemacht.

Mirville. Wer?

Vicomtesse. Raten Sie.

Mirville. Erraten? Das hieße eine Nadel im Korn suchen.

Also wer?

Vicomtesse. Der Herzog von Longueville.

Mirville. Schriftlich?

Vicomtesse. Was denken Sie!

Mirville. Um so schlimmer. Ich liebe Dinge, die auf die Nachkommenschaft übergehen. Der Herzog von Longueville in Sie verliebt! Nichts kommt mir ungelegener.

Vicomtesse. Was macht das Ihnen? Sind Sie meiner nicht sicher? Was fürchten Sie?

Mirville. Ich wäre doch ruhiger, wenn ich bliebe.

Vicomtesse. Ich muß Ihnen erzählen, wie sich das zugetragen hat (sie spielt mit seinem Haar). Er fand Marsal hier mit unzufriedener Miene. Er sah, daß wir uns zerstritten hatten und fragte mich, ob Ihretwegen; ich sagte, nein. Er sprach von Ihnen sehr

nett.

Mirville. Das glaube ich gerne: wir sagen nie Böses voneinander, das ist nicht unsere Methode. Er ist liebenswürdig, Longueville, hat gute Eigenschaften, man könnte aber die ganze Kavallerie zu Fuß und die Infanterie zu Pferd setzen, dieser Teufelsmensch würde Paris nicht verlassen.

Vicomtesse. Geben Sie mir von Ihrem Haar.

Mirville. Nehmen Sie und geben Sie mir von dem Ihren. Vicomtesse. Ich habe welches in einer Schachtel in der Toi

lette.

Mirville. Ich will das nicht.

Vicomtesse. Warum?

Mirville. Ich will die Frucht vom Baume.

Vicomtesse. Ist das nicht dasselbe ?

Mirville. Nein, Sie würden mir vielleicht Haare von Ihrer Emilie geben.

Vicomtesse. Ich bitte Sie!

Mirville. Zur Zeit, als ich Frau von Graffigny hatte ... es ist schon sehr lange her, es war mein Eintritt in die Welt da hatte sie eine Kammerjungfer, die sie verließ, weil sie mir die Hälfte ihrer Haare gegeben hatte und weil sie in einem Anfall von Zärtlichkeit mir auch die andere Hälfte geben wollte. Vicomtesse. Was? Sie haben diese dicke Frau von Graffigny gehabt?

Mirville. Wie jeder andere.

Vicomtesse. Entsetzlich. Erzählen Sie.

Mirville. Was Sie wollen. Vorerst aber

(küßt sie).

Vicomtesse. Geben Sie doch acht ... die Türe.

Diener (meldet). Prinzessin von Luts.

Zwölfte Szene

Prinzessin v. Luts, die Vorigen.

Die Prinzessin. Wollen Sie, daß ich Sie führe, meine Katze? Unsere Frauen können in Ihrem Wagen fahren.

Vicomtesse (küßt sie auf die Stirne). Wohin, mein Kätzchen? Prinzessin. Auf das Land. Haben Sie vergessen, daß wir alle gehen?

Vicomtesse. Mein Gott ja! Aber ich habe doch abgesagt, ich bin krank, ich habe schreckliche Kopfschmerzen.

Prinzessin. Schön sind Sie wie ein Engel. Nehmen wir den Marquis mit. Aber warum denn in Uniform? Sie sind zum Sterben langweilig mit ihren Regimentern!

Mirville. Und unsere Regimenter sind zum Sterben langweilig mit uns, und Sie, meine Damen, sind auch mit mir nicht liebenswürdig, Sie geben sich keine Mühe mit mir. Wissen Sie, was Sie tun sollten, Prinzessin? Nicht auf das Land gehen und mit mir zu Abend zu speisen.

Prinzessin. Nichts lieber, aber wirklich, ich kann nicht. Ich

[graphic][subsumed]
« ZurückWeiter »