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Was einmal wirkliches Dogma war, und als solches mit aller Strenge von der kirchlichen Gewalt durchgeführt wurde, dies wurde, als der Durchfüh, rung unübersteigliche Hindernisse entgegen traten, nicht von der Kirche, sondern von halbabgelösten Gliedern derselben, zur Disziplinarsache herabs gesezt 1), und aus der Glaubenslehre. stillschweis gend entfernt; so wie umgekehrt, was zuerst und lange Zeit noch nicht Glaubenssache gewesen, gelegents lich dafür erklärt und hiermit der Glaube daran zur Heilbedingung gemächt wurde.

Wollte man jedoch, gegen das Zeugniß der Geschichte, die frühere Ein- und Gleich-Förmigkeit des Glaubens als Thatsache gelten lassen, so würde hierdurch die blose Scheinbarkeit dieses Grundes gegen die Reformation nicht aufgehoben. Denn welches war, welches ist für die Zukunft der mögliche Nugen solcher Einstimmigkeit, welches ist der bleibende Nachtheil ihres Gegentheils?

Sehen wir zuerst auf die Vergangenheit zurück, so werden wir allerdings ohne Zögern zugeben, daß wann, und wo, und wie lange jene Gleichförmig keit wirklich stattgefunden haben mag, diese Thatsache ihre nächste Rechtfertigung in dem früheren Zustande

Licht je nach Zonen und Atmosphären (Zeiten und Völkern) heller oder trüber scheine, und nach der Empfänglichkeit der Gegenstände, auf welche es hinstrahle, von diesen vielfarbig wiederscheine, und dennoch das Einige Himmelslicht bleibe.

1) So, z. B. der Gehorsam der Laien unter den römischen Stuhl, welcher noch zu Trient als Dogma galt, welcher aber seitdem so vielfach 'beschränkt worden ist, daß er vielwärts kaum mehr dem Namen nach bekannt ist.

Europa's gehabt, dessen Heidenthum und Barba, rey nie aus den Augen zu verlieren ist, wenn die darauffolgende mittlere Zeit begriffen werden soll. Wir werden vermuthen, daß jene rohe nordische Mass sen zuerst unter einem souverainen geistlichen Willen zerknirscht werden mußten, und nur auf solche Weise zerknirscht werden konnten. Wir werden endlich selbst die mancherlei positiven Vortheile zuges stehen, welche aus einer, auch noch so äusserlichen, Einheit für die allgemeine Entwicklung und Bildung der disparaten europäischen Völkerståmme sich ergeben mußten.

Indem wir aber in Gedanken von Jahrhundert zu Jahrhundert fortschreiten, drångt sich uns plöglich auch die Reformation entgegen, als eine der Thats sachen, welche aus jener Ein- und Gleichförmigkeit hervorgegangen scheinen; denn es waren ja doch urz sprünglich Katholiken, welche reformirt haben, und welche sich reformiren ließen. Bedenken wir dann, daß Europa Siebenhundert Jahre lang in wüster Gährung zugebracht, während welcher das europäische Selbst, nur in den untersten, fast blos physischen, Regionen wirksam und befangen, die höchste Res gion der uniformirenden, von der alten Welt her gebildeten, Kaste überließ; -- daß es abermals sieben Jahrhunderte theils zur Verarbeitung der alten Rohheit, theils zur Aneignung der römischen Ueberlieferungen, überhaupt aber zur psychischen Bil dung bedurfte, und vergleichen wir dann die Resultate dieser fast anderthalbtausendjährigen Arbeit mit denen der lezten drei Jahrhunderte, in welchem eine rasche Erhebung zur freiesten intelligenten Bildung un

verkennbar ist, - so werden wir eben die Refors mation, oder vielmehr die innerlich erwachte Oss zillation, deren erstes allgemeineres Lebenszeichen die kirchliche Umbildung war, als die kostbarste Frucht jener angeblichen Ein- und Gleichförmige keit betrachten, eine Frucht, welche freilich nur zur Hälfte ihr angehört, welche in der That nur von ihr getragen wird, da das Schöpferische und Reifende dem göttlichen Geiste angehörte, welcher jeder neuen Generation eingehaucht wird, und in jede Endlichkeit mit unendlichem Etreben eintritt.

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Drittes Kapitel..

Uebersicht der gegen die Reformation erhobenen Beschwerden.

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"Quid (vero), si medicum quidem dicat esse debere, ferramenta vero ejus accuses, quod secent tonsuram et amputent et constrictent."

Tertullianus. (adv. Marc. L. 2. p. 180).

Indem wir aber hiermit die noch fortwährende Zeit der Reformation als die der Regeneration und der höheren Metamorphose aller Ansichten und Verhältnisse feiern, überhaupt als die der Gewißwerdung der Wahrheit, welche nur aus dem Gegens say, und eben damit aus der Zusammenwir kung der Entgegengesezten, — entspringt, schallt von der angeblich Eingläubigen Seite der

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einstimmige Vorwurf zu uns herüber, daß von dem Augenblick an, als die Unterwürfigkeit unter die Autorität aufgegeben, als von dem, auf den Felsen des Pabstthums gegründeten, Centrum der Einheit abgefallen, und die menschliche Vers nunft zur letzten Instanz erhoben," (d. h. das Priviles gium des Pabstes und der versammelten Geistlichkeit auf Untrüglichkeit auf alle Gemeindeglieder repartirt),,wors den zuerst die unglücklichen Menschen von jedem Luftzuge der Lehre hin und her geschleudert“, die Geschleuderten,, in immer mehreren Rich, tungen durch und gegeneinander geworfen, die Geworfenen sich aneinander stoßen, und reiben und „aus Allem diesem zulegt eine völlige Anarchie der Meinungen, eine durchgängige, Indifferenz gegen alles Religiöse, und nothwendig. damit eine allgemeine Zügel- und Sitten-losigkeit einbrechen würden." Da nun schon die, aus der Denkfreiheit entspringenden, Spaltungen, Feindschaften und Gehässigkeiten Uebel seyen, welche der christlichen Liebe zuwider liefen, so sey es eine heilige Pflicht, auf keine Weise von der ursprünglichen Einheit abzuweichen, eine Pflicht, welche um so wesentlicher zur Sittlichkeit, ja zum Gottesdienst ges höre, je mehr die Gefangennehmung der Intelligenz unter die, dem menschlichen Geiste undurchdringlichen, Geheimnisse der Natur koste, und je vollkommener, eben daher ein solches Opfer sey“ 1).

1) Diese Reflexionen finden sich am ausdrücklichsten, wenn auch nicht immer am glimpflichsten, namentlich in Tabaraud's Schrift: de la Réunion des Communions Chré-,

Dies ist die Quintessenz der seit dreihundert Jahren gegen die Reformation gerichteten Bes schwerden, da die Anklagen, welche gegen die Res formatoren, mit und ohne Grund, eingelegt wors den, durchgängig mit diesen selbst und ihren unmit telbaren Jüngern dahingestorben,

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noch hier und dort von Ungebildeten wiederholt wors den find. Da nun, wenn jene Beschwerden durch, aus gegründet wåren, zwar nicht das Alleinselig machen der römischen Kirche daraus folgen würde, aber doch das Unseligmachen aller reformirten Kırden, so sehen wir uns veranlaßt, dieselben hier nås her zu beleuchten, so weit dies im Vorhergehenden noch nicht geschehen ist.

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Viertes Capitel.

Ndthigung zum Selbsturtheilen.

"Ihr seyd das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man es falzen? Es ist zu Nichts hinfort nüße, denn daß man es hinaus schütte, und lasse es die Leute zertreten." Jesus. (Matth. C. 5. V. 13.)

Wie kann, muß man vor Allem fragen, das Hinausgehen über die vorgeschriebenen Glaubenstiennes (paris 1808) und in dem schon angeführten Theoduls Gastmahl, deren Verfasser ihre ungeeigenheit zu Bekämpfern der Réformation durch die That beweisen, indem sie das Lossagen von der absoluten Autorität der alten Kirche durch die Autoritäten einzelner Kirchenlichter zurecht zu weisen vermeinen.

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