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Drittes Capitel.

Gegensaß des Römisch-katholischen und des sich reformirenden Christlichen.

,, Qu'on me prouve aujourd'hui qu'en matière de foi, je suis obligé de me soumettre aux décisions de quelqu'un, dès demain je me fais catholique, et tout homme conséquent et vrai fera comme moi. “

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J. J. Rousse a u. (Lettre 1re écr, de la Montagne).

Tolérer dogmatiquement une seule erreur,

s'engager à les tolérer toutes. "

c'est

De la Mennais. (Essai sur l'Ind. T. 1. p. 228).

Bei den eben bezeichneten Erscheinungen ist der wichtige Unterschied nicht zu übersehen, daß dass selbe, was in der neuen Kirche, was in den refors mirten Gemeinden als freie, förderliche und erfreuliche Entwicklung sich darthut, in der katholischen Kirche als zurückgehaltene, auflösende Entartung, oder als Abfall und Keßerei erscheint, und von den Gesezwächtern als Verfall und zunehmende Gleichgültigkeit in Glaubenssachen beklagt und getadelt wird. Dies giebt dann recht eigentlich den innersten Gegensaz beider Kirchenformen, und die Unmöglichkeit einer, beide in ihrer Eigenthüme lichkeit erhaltenden, Vereinigung zu erkennen 1).

1) Bossuet (in seinem Briefe an Mad. de Brinon, du 29 sept. 1691) hatte zwar nur gesagt: „Croire, qu'on fasse jamais aucune capitulation sur le fond des dogmes définis,

Nicht durch bloße sogenannte Mißverständnisse, oder ausgleichbare, vermittelbare Ansichten sind sie unterschieden, sondern im Unterscheidenden stehen sie sich als Ja und Nein einander gegenüber, als unbeschränktes Forschen und engbeschränktes Annehmen von Ueberliefertem ), als Forts schreiten und Stehen bleiben, als Streben und Seyn, als Freiheit und Nothwendigkeit, als Perfektibilität und Imperfektibilitåt, als Erhebung und Unterwerfung, als All u mfassung und Ausschließlichkeit, und wie das Ja und Nein sich noch in vielen andern Beziehungen aussprechen ließe. Aber eben hieraus ist noch zu erkennen, warum die neue Kirche sich unaufhaltsam ausbreiten, die alte, insofern sie in ihrem Prinzip beharrt, unvermeidlich verwittern und endlich zusam

la constitution de l'Eglise ne le souffre pas;" was er aber Alles zu jenem fond rechnet, dies kann man in seiner Exposition zur Genüge wahrnehmen. In seiner Conférence mit M. Claude verwirft er sogar ausdrücklich die unterscheidung der Dogmen in fundamentale und nichtwesentliche, und sezt die Catholizität in die Annahme Alles von der Kirche Gelehrten, ohne vorangehende Prüfung blos auf das Ansehen der Kirche hin.

1) Vereinzelte Neusserungen und Thätigkeiten einzelner Kirchenlehrer heben diesen Unterschied nicht auf; wenn z. B. Fürst A. v. Hohenlohe im I. 1820 sprach und schrieb: (Was ist der Zeitgeist. S. 14): „Ferne sey es von mir den Forschungsgeist unserer Zeit binden zu wollen; nein, man prüfe, uns tersuche, dringe voran, kläre auf!" wenn andere ausgezeichnete Lehrer dieser Kirche auszuführen suchen, was jener nur gerathen, so muß man die, gegen die lekteren sich wiederholenden, kirchlichen Verfolgungen dagegen in Betrachtung ziehen, so wie die täglich sich häufenden, von den höchsten kirchlis chen Stellen ausgehenden Uktenstücke.

menbrechen muß ). Denn jene bietet selbst allen unaustilgbaren und wahrhaften Bedürfnissen, Wüns schen und Neigungen des Menschen einen freien Spiels raum dar und gehet darauf aus, alles Jenseitige zu vergegenwärtigen, alles Diesseitige in ein Himmlisches zu verklären;-eine unendliche, aber eben dess halb auch die einzige des Menschen würdige, Aufgabe! Die alte Kirche hingegen verwirft die neue und ihr Streben 2), und kann also nur dadurch fortbestes hen, daß sie ihre Heerde durchaus isolirt, daß sie dieselbe mit flammendem Schwerdt nicht blos vom Baume des Lebens, sondern auch vom Baume der Erkenntniß entfernt halte 3). Denn wer vermag

1) Des lebendigen Wassers ist auch die alte Kirche theilhaftigs. aber es ist eingeschlossen in einen harten und scharfkantigen Krystall, und kann nur frei werden durch Zerbrechung seines verhärteten Kerkers, während es in der neuen Kirche frei zirkulirt und als Meeresflut, als Regen und Thau selbst jenen Krystall um= spült und befeuchtet und auch den uralten Granitfels in grünendes Fruchtfeld zu verwandeln strebt.

2) Sogar ihr edelstes! Nicht nur die freie Erkenntniß; sons dern auch die freie Liebe. So behauptet z. B. das Mémorial cathol. (1824. I. 42.), und zwar in orthodoxer Consequenz, daß die Katholiken, welche an der Société de la morale chrétienne Theil nähmen, die kostbarsten Interessen ihrer Kirche verriethen. ,,En effet, heißt es sogar: on voit s'élever au sein même du Christianisme des sociétés, qui, égarées par un zèle mal éclairé, désirant d'unir par les liens d'une morale et d'une charité communes toutes les sectes de l'Eglise, ne s'aperçoivent point qu'elles a bjurent le nom chrétien (!!!)

3) So sagte der Bischof von Troyes gelegentlich, das Gefeß über die Freiheit der Presse sey: une loi fatale, enne mie de toutes les lois et de toute justice;" und: „il

"

die golbenen Früchte, welche in dem Lande der Freiheit reifen, anzuschauen, ohne lüstern nach ihrem Genusse zu werden? Wer, ohne das Warum einzusehen), zu ewiger Enthaltung verurtheilt, wird nicht seine Ketten zu durchbrechen suchen, um mit jenen Früchten seinen unendlichen Durst zu stillen ?

Auf jener Ansicht aber erhob sich die lezte Berfassung der alten Kirche, und klar zum Bewußtseyn und zum unzweideutigsten Ausdruck ist sie in der Hauptstadt des europäischen Verstandes gekommen 2). Man hat sich nämlich nach und nach überzeugt, daß die Reformation in der

n'est plus temps de temporiser; l'esprit de concession devient chaque jour plus funeste, et il importe plus que jamais de couper dans le vif." (Const. 5 avr. 1823.)

1) Schon Bossuet, gegen Ende des 17ten Jahrhunderts, hat in der Conférence mit M. Claude behauptet, der Katholik müsse Alles, was ihm von seiner Kirche überliefert wird, blos allein aus Glauben an die Autorität dieser Kirche glauben, und dürfe nicht fragen, warum er dteser Autorität glauben müsse. Die Nothwendigkeit dieser Behauptung Bossuet's ist aber noch im I. 1826 streng und ausführlich erwiesen vom Abbé Gerbet, in deffen Schrift: Des doctrines philosophiques sur la certitude dans leurs rapports avec les fondemens de la théologie.

2) Paris, oder das Haupt Frankreichs, hat sich stets als Thron des Verstandes behauptet, welcher, auf das scharfe Unterscheiden gerichtet, schnell und richtig den Gegensag auffaßt, wie er in That- und Spräch - Sachen vorliegt. Wie die französische Poesie fast durchgängig ein Verstandesspiel, eine Kette von Gegen= fäßen, so ist der Verstand auch der Regent ihrer Prosa. Das Widersprechende ist am leichtesten aufgefaßt, und brillirt am meisten jenes ist ein Bedürfniß des gesellschaftlichen Verkehrs, dieses ein Bedürfniß der Eitelkeit. Hierin verhalten sich die Franzosen zu den Deutschen - wie Antithese zu Synthese.

freien Forschung, in der unverkümmerten Thatigkeit des eingebornen Geistes oder allgemeinen Wortes und Wesens, wurzelt; daß sie das mit begonnen hat, und noch überall damit bes ginnt, daß der menschliche Geist, über die Aus torität der Kirchenlehrer und der Kirchenvåter hinausgegangen, überhaupt über die Autorität der, von der Priesterschaft ausgegebenen, Tradition sich hinaus segend, selbstthätig auf die Urquellen zurückgedrungen ist; - daß die Selbstthätigkeit des denkenden Geistes unwiderstehlich das religiöse Gemüth bewegt und befreit; daß die religiöse Freiheit ein unauslöschliches Bedürfniß bürgerlicher und politischer Freiheit erweckt, und endlich auch den schöpferischen Genius im Menschen zum freien Flügelschlage begeistert, und ihm eine neue Welt der Kunst und reinen Wissenschaft entlockt, welche Alle zur innigsten Theilnahme bezaubert und bethåthigt 1).

1) Das Mémor. cath. berichtet (I. 50.) aus dem Mercure folgende Stellen:,,La littérature, comme la politique, est aujourd'hui plus que jamais divisée en deux partis: l'un mécontent du présent, l'autre, qui pense que tout est susceptible d'améliorations, que l'esprit humain ne peut décroître, et que la vérité, compagne inséparable de la raison, ne saurait avoir trop d'interprêtes, ni trop de défenseurs, pour répandre ses maximes et ses bienfaits, sans décrier l'époque actuelle, (il) ne considère les temps anciens que comme des objets d'étude et de méditation, qui doivent servir à nous diriger vers des temps meilleurs." In Beziehung hierauf bemerkt das

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Mém. cath.: „Il n'est plus possible de méconnaître la loi qui lie entre elles toutes les parties de l'ordre moral, aujourd'hui que nous voyons le monde politique et le monde religieux agités par les mêmes combats, dans les lettres comme dans

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