Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Reiz gewinnen, je weiter die Jahrhunderte der vollen Reife und Energie dieser Kirche zurücktreten, je künstlicher die abschreckende Nachtscite derselben von den neueren Apologeten, wie im Spätherbste die Stoppeln mit schillernden Spinngeweben, so mit lockern, aber gleissenden, Verdeutlungen und Sophismen, umsponnen wird. Auch kann nicht in Abrede gestellt werden, daß in dem Eifer und der leidenschaftlichen Eile, in welchen zur Zeit der Reformas tion das Wesentlichste, man könnte sagen, die le= bendige Seele- des Christenthums aus der, gleichsam verschütteten, alten Kirche herausgerettet wors den, einestheils manches zum Leben Dienliche zurückgeblieben, anderntheils mehreres Unnüße mit fortgeschleppt worden ist. Aber die Freiheit war gerettet, und mit ihr die Möglichkeit, das Förderliche wieder zu erwerben, das Unnüße, wenn es als solches erkannt, zu entfernen; während in der alten Kirche auch das spåter als irrig Befundene als wahr vertheidigt werden muß, weil es von einer (angeblich) unfehlbaren Anstalt ausgegangen, und das als wahr und zweckmäßig neu Entdeckte als keze= rische Neuerung verdammt werden muß, wenn es der kirchlichen Hinterlage widersprechen sollte. Darum mögen auch Jene, welche ausserhalb der alten Kirche noch Einiges vermissen, Anderes wegwünschen, sich mit vielen der ersten Christen beruhigen, welche auch noch keinen Tempel zu Jerusa

lem und nirgendwo, und kein mosaïsches Festgeprånge und keine Opferfeier hatten, und manches zeitliche Förderungsmittel des religiösen Lebens entbehren müßten; dabei noch manches Entbehrliche, vielleicht Hinderliche, aus dem Judenthum mit in die neue Kirche übergetragen sahen, dagegen aber um so fester und inniger in Liebe, in Glauben und Hoffnung verbunden waren, und, frei vom Joche des blos positiven Gesetzes, gewiß gar bald und für immer eine rein christliche Kirche würden erbaut haben, håtte nicht die Menschheit zuerst noch andere schwere Arbeiten zu verrichten gehabt, welche tausendjährige Anstrengung erforderten, und erst im sechszehnten Jahrhundert zu jener höheren Aufgabe sich zurückzuwenden gestattet haben. Auch in den Tagen, in denen die Geburt des göttlichen Menschenfreundes gefeiert wird, ist es still und fast dde auf der Welt und manche mögen sich in den Spätherbst, in welchem die Bäume doch noch mit falben Blåttern bekleidet sind, zurücksehnen; aber schon hat sich die Sonne gewendet und sie steigt wieder auf; es lången sich die Tage, und bald erwecken auch wårmere Strahlen das bildende Leben wieder, rufen Alles Erstorbene zur Verjüngung und breiten den Garten des Herrn über die vertrauenvoll harrende Erde!

Und pulsirt nicht auch jeht ein neues Frühlingsleben in der christlichen Menschheit? Ist nicht ́überall eine heiße Sehnsucht erwacht nach allgemei

nem, innigem, Einverständniß, nach freier Entfaltung aller von Gott verliehener Kräfte und Anlagen? Und wo dieser göttliche Trieb ein irdisches selb= stisches Hinderniß findet, muß dieses nicht gerade zur vollständigeren, reineren, herrlicheren Ausgeburt des begeisteten Saamenkorns dienen? - Die völlig schrankenlose Entwickelung würde bald des Maaßes und der lauternden Besonnenheit ermangeln; die zeitliche Hemmung hingegen fördert sowohl durch Sammlung der Kraft, als durch Rückkehr und Besinnung auf sich, auf das Vollbrachte und das noch zu Vollbringende. Darum darf man sorglos, wenn gleich nicht unthätig, es ansehen, wie in der christlichen Welt jeßt das verhärtete System der alten Kirche auf alle Weise gegen die Ausbreitung der neuen Kirche geltend gemacht wird, sey es von Geistes, sey es, was oft der Fall zu seyn scheint, von selbstischer Herzensbeschränktheit.

--

Mag dann in Spanien und Portugal die reichbegüterte und bevorrechtele Kleruskaste kein Mittel verschmåhen, um die Freiheitsbedürftigen auszurotten, und durch Furchteinflößung und Geisteslähmung den alten und unbestrittenen klerokratischen Despotismus zu restauriren; die Geschichte müssen sie doch stehen lassen, das begeisternde Gedächtniß der Freiheit können sie nicht verwischen und von Portugal aus wird mit der bürgerlichen Freiheit auch die kirchliche sich unaufhaltsam nach dem Nachbar

lande hin ausbreiten, begünstigt von irdischer Noth und von den Eindrücken, welche das französische Occupationsheer überall dort zurückgelassen hat. Mögen ferner in Frankreich die geistlichen und weltlichen Jesuiten den gutmüthigen König und die Schaar seiner ehemaligen Auswanderungsgefährten misbrauchen, um der Erziehungsanstalten, und durch Missionen und Brüderschaften des gemeinen Volks sich zu bemeistern; mögen sie an den Grenzen widergesetzliche Inquisitionscommissionen errichten lassen, um deutsche und englische Aufklärung von ihrem Gebiete abzuwehren; mögen sie andersgläubige Christen in ihrer Religionsübung beeinträchtigen, gegen die Verfassung und deren Urheber ihre Anatheme schleudern, und sich eine schlagfertige Ligue zurüsten *);

ist

schon sind sie nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern auch durch sie gestürzt; denn die Freiheit der Presse, - der Tod jegliches Verfinsterungs- und Unterdrückungs-Versuches, von der Nation, und ihrem wahren Adel (in der Kammer der Pairs), wie im Sturme wieder erobert; die Huldigung, die dem Andenken eines edeln Liancourt, eines freisinnigen Foy, die Hülfleistung die den abtrůnnigen Griechen gebracht worden, zeugt unwiderleglich für den allgemein erwachten höheren

*) Den Zeitungsberichten zufolge werden schon seit mehreren Jahren in jesuitischen Anstalten die Seminaristen heimlich in den Waffen geübt.

!

Sinn, und der Eifer, mit welchem jeht die geistigen Führer dieser Nation das Herrlichste aller Zeiten und Völker anerkennen, ergreifen und sich aneignen,

[ocr errors]
[ocr errors]
[ocr errors]

er verbürgt auf das genügendste, daß keine despotisch beengende Kirchenform mehr in diesem Lande herrschend werden kann. Was sollen wir nun noch von unserem geliebten Vaterlande sagen, wo der Geist brütend über den Wässern schwebt? Wo so manche katholische Hirten, ja die Ueberzahl der Oberhirten, durch ihre edlen Bestrebungen, durch ihre Milde und Freisinnigkeit beinahe den Confessionsunterschied vergessen machen! Dank sey es der Reformation, und der, insoweit mit Unrecht beklagten, Zersplitterung des Landes, hier ist der kirchliche Gegensatz schon fast durchaus ein blos theoretischer Zweikampf geworden, und einzelne Ungebühren dienen nur noch als Reizmittel zur vollståndigen Auskämpfung dieses theoretischen Streites. Wenn dann noch in Italien das Feuer unter der trügerischen Asche schlummert, so zeigt doch selbst Merico, was auch in Italien geschehen wird, wenn seine Zeit gekommen und es durch freie Verfassungen zur Selbstthätigkeit und zum vollen Gebrauch seiner reichen natürlichen Gaben gelangt seyn wird.

--

Ueberall aber, hier, wie in allen Låndern, über welche die göttliche Vorsehung zuerst den scharfen Luftzug der Aufklärung, dann den Sturm des Krieges und der Unterjochung hinübergeführt hat,

« ZurückWeiter »