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Das Wort Tättowiren ist dem auf den Marquiseninseln gesprochenen Dialect des oceanischen Sprachstammes entlehnt; es

Sprache der Chaldäer lehren" (Dan. 1, 4); der Prophet Jesaia drückt (29, 11. 12),,lesen können" durch jada sefer aus. Die Bedeutung,,Verzeichniss", wie das Wort etwa 1. Mos. 5, 1 aufgefasst werden kann, steht in der Mitte zwischen zählen und schreiben; und dasselbe gilt von dein merkwürdigen Worte sofer. Dieses bezeichnete offenbar den Würdenträger, den wir auf ägyptischen und assyrischen Denkmälern mit der Schreibtafel oder Rolle verzeichnend dargestellt finden, und könnte also ebensogut durch Schreiber, als durch Zähler, Verzeichner übersetzt werden. In der nachbiblischen Sprache tritt jedoch eine ganz andere Bedeutung des Wortes auf, nämlich Gelehrter. Nur in Beziehung auf Esra finden wir diese Bedeutung auch an mehreren Stellen der Bibel. Sollte es hier nur eine im Geiste der Zeit mit dem Titel Esra's vorgenommene Umdeutung sein, den er vielleicht in einem ganz anderen Sinne aus Babel mitgebracht hatte? Uebrigens scheint an den betreffenden Stellen mit dem Ehrentitel nur gesagt werden zu sollen, dass Esra gut lesen konnte (s. bes. Neh. Cap. 8 und Esr. 7, 6); höchstens vielleicht, dass er belesen (litteratus) war, in dem Gesetze nämlich; und ich möchte es hier eher mit ,,Leser" als mit ,,Schreiber übersetzen. Die Bedeutung,,Gelehrter" geht ohne Zweifel von sefer im Sinne von Schrift, Lesekunst aus; gelehrt ist ursprünglich, wer lesen und schreiben kann, denn dieser älteste Inbegriff der Grammatik und des Grammatikers (younarızń, yoanuarıxós) war eine Zeit lang der aller Gelehrsamkeit überhaupt. Mit der Verwandlung der Zustände nahm sofer nicht nur den Begriff Gelehrter (Schriftgelehrter, yoauμarɛi's) in sich auf, sondern es stellte sich auch die in yoдuuariot's enthaltene Verwendung für Elementarlehrer ein: ja, da die einst seltene Gelehrsamkeit auf die Kinder übergegangen war, so findet sich sogar eine talmudische Stelle (des 3. Jahrh.), wo die ABC-Schüler soferim genannt werden (Kidd. IV, 13). Eine andere Talmudstelle (Kidd. 30) leitet diese (für die Gegenwart damals veraltete) Benennung der früheren" Gelehrten von der Bedeutung,,zählen“ ab, als Solcher, die die Buchstaben des Gesetzes gezählt hätten. In dem spätesten Hebräisch heisst sofer: Schreiber (scriba, notarius), Abschreiber (des Gesetzes, religiöser Documente u. s. w.).

Was nun katab betrifft, so findet sich die Wurzel in der Genesis nicht, wie denn bezeichnenderweise vor dem Auszug aus Aegypten vom Schreiben in der Bibel nicht die Rede ist, und auch sefer nur an der oben angeführten Stelle (1. Mos. 5, 1) in dem Sinne von Verzeichniss vorkommt. In der Folge ist katab bekanntlich die gewöhnliche Verbalwurzel für schreiben, mit welcher das Substantiv sefer sehr häufig verbunden ist. Es finden sich aber auch einige wenige Stellen, wo das Zeitwort nichts als zählen bedeutet; besonders Jes. 10, 19,,die übrig bleibenden Waldbäume werden wenige sein, ein Knabe wird sie zählen (verzeichnen) können"; wobei ja auch mispar in der ersten Hälfte des Verses eig. so viel heisst als ,,was man zählen kaun". Ferner: Gott wird zählen (jispor), wenn er die Völker verzeichnet: Dieser ist dort geboren". Ein solcher Gebrauch von katab geht gewiss nur vom Zählen durch Striche machen, nicht von einem complicirteren Zahlenschreiben aus. Wenn an der zuerst angeführten Stelle das Schreiben der Zahl etwa durch hebräische Buchstaben verstanden werden sollte, so ist zu bedenken, dass danach 400 leichter als 11, und nicht viel schwerer als 1 zu schreiben ist. Es könnte demnach auch das arabische katibatun wohl auf eine solche primitive schriftliche Zählung zurückgehn und einfach ,,Zahl" bedeuten, umsomehr als ja auch der sofer der althebräischen Schriften vorzugsweise das Heer zu verzeichnen hatte (s. bes. Jes. 52, 25. 2. Kön. 25, 19. 2. Chr. 26, 11). Ist doch Zählung durch Striche so früh nachweisbar, als Schrift überhaupt, und sogar die Verwendung der Buchstaben des Alphabets als Zahlzeichen schon mit ihm selbst nach Europa gekommen.

lautet dort tatu. In der Sprache der Sandwichinseln wird das fehlende t durch k vertreten; das derselben angehörige Wort kakau schreiben, ist also nicht wesentlich von jenem tatu verschieden. Auch heisst in der Marquisensprache selbst tatau lesen, rechnen, zeichnen. Ein anderes, beiden Dialecten mit geringer Verschiedenheit gemeinsames Wort ist tiki, auf den Sandwichinseln kiki, tättowiren, malen, schreiben; es heisst ferner Schnitzbild, in welchem Sinne es von Zeichen" ausgeht, wie signum. Auch ein neuseeländisches Grabdenkmal, in Hochstetter's Neuseeland (S. 201) abgegebildet, wurde ihm von den Eingeborenen als Tiki bezeichnet. Was die ursprünglichere Bedeutung von tiki betrifft, so ersehen wir sie aus tikao stechen, reizen, tikaue Mücke, tikao und tiko-tiko Sinnenreiz. Nach Wilhelm von Humboldt's Mittheilung (über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus S. 406) hat Jacquet bemerkt, dass bei diesen Völkern die Begriffe des Schreibens und Tättowirens in enger Verbindung stehen“.

In Zimmermann's Wörterbuch der Gangsprache, welche von einem Volke der Goldküste von Westafrika gesprochen wird, ist die Wurzel nma erklärt: kratzen, z. B. das Gesicht, Striche oder Zeichen machen, schreiben. Im Birmanischen ist koh (nach Schleiermacher) kratzen, wie die Kinder thun, und schreiben. Derselbe Uebergang findet sich in dem Kafirworte loba.

Um eine ähnliche Verbindung beider Begriffe bei den alten Culturvölkern wahrscheinlich zu finden, müssen wir uns erinnern, wie frühzeitig und verbreitet auch in der alten Welt die Gewohnheit bezeugt ist, den Körper mit eingeritzten Zeichen zu beschreiben. Das Tättowiren selbst kommt bei den wilden Völkern in Europa und Asien ebenso wie in den neuentdeckten Erdtheilen vor. Von den Kabylen wird berichtet, dass sie zur Unterscheidung der Stämme thierische Abbildungen auf der Stirne, der Nase, den Schläfen, oder auf einer der Wangen tragen; diese Tättowirungen werden durch Punctirungen mit feinen in eine ätzende Flüssigkeit getauchten Nadeln gebildet. Ein ähnliches Verfahren zeigt sich überall in Mittelafrika sowohl, als auch auf dem Karolinenarchipel. „Das Tättowiren, sagt schon Herodot (5, 6) von den Thraziern, gilt für vornehin, der nicht Tättowirte für unedel;" etwas genauer schildert dasselbe Xenophon von den Mosynöken (An. 5, 4, 32): „es wurden uns gemästete Kinder vornehmer Eltern gezeigt, die mit gekochten Kastanien gefüttert worden waren. Sie waren sehr zart und weiss, und fast ganz ebenso dick als lang, bunt auf dem Rücken und vorn überall blumenartig tättowirt." Auch auf den ägyptischen Denkmälern von Biban el-moluk finden sich tättowirte Menschen dargestellt. Bei Griechen und Römern war, wie wir aus Petronius (Sat. cap. 103 sqq.) sehen, der Gebrauch gewöhnlich, Verbrecher, und was die ursprüngliche Anwendung gewesen zu sein scheint, Sclaven zu brandmarken, und ebenso bei den Persern, von denen z. B. Herodot erzählt, dass sie die thebanischen Ueberläufer bei

Thermopylä auf Xerxes Befehl mit dem königlichen Male gebrandmarkt hätten (7, 233). Dieser Gebrauch, dem nur die Absicht des Kennzeichnens zu Grunde liegt, ist aus dem Tättowiren hervorgegangen. Jedenfalls tragen wir mit Unrecht etwas anderes, namentlich ein eigentliches Einbrennen des Zeichens in das griechische Wort. Es ist eben das an den angeführten Stellen für Tättowiren gebrauchte origw; die entsprechende Strafe der Chinesen ist dieser Grundform treu geblieben: sie besteht darin, dass dem Schuldigen mit der Nadel Zeichen eingestochen und dann durch schwarze Farbe dauerhaft gemacht werden. Dieses Verfahren, welches dem Tätto

wiren genau gleicht, heisst thsi und khing

黑點

Das Mandschuwort dafür ist sabsimbi, nach v. d. Gabelentz,,brandmarken, tättowiren, und eine Arbeit mit der Nadel". Vielleicht schreibt sich der Gedanke der Acupunctur, welche die Chinesen in unvordenklicher Zeit als Heilmittel anwendeten, aus demselben Vorbilde des Tättowirens her, sofern es für heilig und heilsam gelten mochte. Pferde wurden bekanntlich bei den Griechen zur Kennzeichnung ihrer Race mit in den Schenkel gebrannten Zeichen versehen. Hierzu wurden Buchstaben verwendet, und wahrscheinlich ist diese Verwendung bei den Griechen so alt wie die Buchstabenschrift selbst; wenigstens ist der aus dem Schriftgebrauch früh verschwundene Buchstabe Koppa unter diesen Zeichen. Die Kaukasier haben noch jetzt ein ganzes reiches Zeichenalphabet, welches zu keinem andern Zwecke dient, als zu einer eben solchen Unterscheidung ihrer Pferde.

Der biblische Ausdruck: „ich werde dich (Zion) nicht vergessen, ich habe dich auf die Hände gezeichnet, deine Mauern sind mir immer gegenwärtig“ (Jes. 49, 15. 16) hat die Darstellung des Tättowirens nur vielleicht zum Hintergrunde, sowie auch die bekannte Erzählung Herodots (5, 35) dass Histiäus, um den Aristagoras verstohlen zur Empörung aufzufordern, einen Sklaven geschoren, den Brief auf dessen Kopf geschrieben und nachdem die Haare darauf gewachsen, den Sklaven abgeschickt habe, auf einen Ideenkreis deutet, dem es noch nicht ferne liegt, den menschlichen Körper als Schreibmaterial anzusehen. Es verdient nur noch bemerkt zu werden, dass Herodot sich in dieser Erzählung desselben vom Tättowiren und Punctiren ausgehenden Wortes Grige bedient. In formeller Hinsicht steht die Schrift mit der Tättowirung nicht im Gegensatze. Manche Völker zeichnen sich Thierfiguren der verschiedensten Art auf die Haut. Solche Malereien sind also der Form nach wahre Bilder, wie die älteste Schrift. Meistens aber sind die eingeritzten Zeichen linear. Hochstetter sagt von den Grabdenkmälern der Maori, der Eingeborenen Neuseulands (,,Neuseeland", S. 299): „Es sind aus Holz geschnitzte Figuren von 4 Fuss Höhe, welchen Kleidungsstücke oder Tücher umgehängt sind, und an denen

die getreue Nachahmung der tättowirten Gesichtslinien des Verstorbenen das Bemerkenswertheste ist. Daran erkennt der Maori, wem das Denkmal gesetzt ist. Gewisse Linien bezeichnen den Namen, andere die Familie, welcher der Verstorbene angehörte, und wieder andere die Person selber. Genaue Nachahmung der Tättowirung im Gesichte ist daher für den Maori soviel als Portraitähnlichkeit, und es bedarf für ihn keiner weiteren Inschrift, um zu erkennen, welcher Häuptling hier gestorben". Die Art der Zeichnung ist hier linear, und es ist bemerkenswerth, dass die Wörter für schreiben ebenfalls zunächst die Grundbedeutung Striche machen zu haben pflegen. Aus dem Griechischen yoάqw z. B. entwickelt sich ebenso unmittelbar der Begriff Linie, Strich roάuun als Schrift und Bild. γράμμη Ein seltsamer Ueberrest wahrer Tättowirung hat sich mitten in unserer Civilisation noch erhalten. Unter den europäischen Matrosen, zum Theil auch unter den Soldaten, ist eine förmliche, von eigenen Kunstverständigen mittels eines Instrumentes, das, dem von Cook geschilderten durchaus ähnlich, aus aufgesteckten Nadeln zusammengesetzt ist, geübte farbige Tättowirung gebräuchlich. zeichnen sich so Sinnbilder ihres Standes, auch wohl förmliche Schrift auf Arme und Brust. Es ist dies ohne Zweifel Nachahmung der Wilden.

dass

In manchen dem Begriffe,,schreiben" dienenden Wörtern begegnen wir einem gewissen Schwanken zwischen der Grundbedeutung einkratzen und färben. Es erklärt sich dies vielleicht eben daraus, dass das Tättowiren beides zugleich, und sogar durch das aus der Wunde fliessende Blut, beides schon in seinem rohesten Ursprunge zugleich war. Von dem eigenen Körper wurden die Schriftzeichen vermuthlich zunächst auf Gegenstände übertragen, denen sie als Zeichen dienen sollten. Es wird sogar erzählt, manche Indianer die sogenannten Totem, das heisst symbolische Bilder ihrer Stämme, wozu Thierbilder wie Bär, Büffel u. dgl. dienten, zur Bewahrung der Stammbäume in Bäume, Ruder, Kähne und Waffen nach der Ordnung einschnitten. Dies ist schon Schrift zu blosser Erinnerung, ohne Beziehung auf den Gegenstand, worauf geschrieben wird. Man hat die ägyptischen Tempel und Palastwände, wegen der Masse der Schriftzeichen, mit welchen sie über und über bedeckt sind, mit Büchern verglichen; die mächtigen beschriebenen Felsen zu Persepolis und Bisitun enthalten ganze Geschichtswerke; warum sollten in einfacheren Verhältnissen nicht Bäume oder auch Thiere einem ähnlichen Triebe dienen? Die Lösung der Rinde von einem beschriebenen Baume, des Felles von einem mit Zeichen versehenen Thiere würde zugleich der erste Schritt zur Selbstständigmachung der Schrift, gleichsam die Erfindung des ersten Buches gewesen sein. Bei den Neuseeländern, welche ein Alphabet von 14 Buchstaben von den Engländern angenommen haben, herrscht gegenwärtig die Sitte, auf die Blätter von Flachsbüschen mit Muschelschalen ihre Namen oder Grüsse an ihre Freunde zu schreiben.

,,Die Dinka-Neger", so erzählt Mitterrutzner, ,,ritzen oder schneiden. oft die rohen Umrisse von Menschen, Krokodilen, Schildkröten und anderem Gethier mit einem Dorn oder spitzigen Eisen in weiche Kürbisschalen. Dieses Eingraben nennen sie gor. Sahen sie nun einen Missionär schreiben, so hiess es jen a gor, er gräbt ein, ritzt ein, zeichnet". Die ältesten erhaltenen chinesischen Schriftreste sind Aufschriften auf Weihgefässen, und insofern die Aufschrift jedenfalls ein Zeichen sein sollte, und ein möglichst bleibendes, so erklärt es sich schon hieraus, warum sie anfänglich nicht aufgetragen, sondern eingeritzt werden mochten. Eine verwandte Vorstellung scheint sich von jeher mit dem Begriffe „Zeichen" verbunden zu haben. Signum z. B. ist, wie G. Curtius treffend aus sigillum geschlossen hat, zunächst ein eingegrabenes Zeichen; Ebel hat signum aus stignum erklärt, und, mit Unrecht, wie ich glaube, diese schöne Erklärung später zurückgezogen. Signum tritt dadurch nicht nur mit goth. taikns, dem englischen token, unserem Zeichen zusammen, sondern auch mit stechen und oriço, der besprochenen ächt griechischen Bezeichnung des Tättowirens. Dass von Zeichen zeichnen, von signum dessiner abgeleitet wurde, führt uns aufs Neue auf den symbolischen Zweck, der mit dem Zeichnen zuerst verbunden war. Ein Gegenstand, ein Thier, ein Mensch wurde gezeichnet, mit einem Zeichen versehen, welches kenntlich machte, als Besitz bezeichnete, oder auch weihte. Es giebt eine solche Weihung durch Aufdrückung eines Zeichens, welche noch primitiver, als die bisher geschilderte und zugleich in ihrem Zwecke sehr durchsichtig ist. Ich meine die sogenannte rothe Hand der Indianer. Schoolcraft hat dieselbe auf Rinde, auf Thierfellen, auf Holztafeln, aber auch auf dem Körper von Tänzern als heiliges Sinnbild dargestellt gefunden. In dem letzten Falle wurde das Bild durch Abdruck einer mit Thon beschmierten Hand auf der Brust, der Schulter und andern Körpertheilen hervorgebracht. Was diese bei den Indianerstämmen sehr allgemein verbreitete Hand bedeuten mag, wird demjenigen, welcher die strahlenden Hände des Sonnengottes auf ägyptischen Darstellungen gesehen, oder in den vedischen Liedern vom goldhändigen Savitri gelesen hat, kaum zweifelhaft bleiben. Die rothe, oder auch wohl weisse Hand, mit welcher ein Gegenstand und selbst der Körper eines Menschen auf die einfachste Weise bemalt und geweiht wird, ist schwerlich etwas Anderes als die Sonne.

So gewaltig der Weg von einem solchen fast wie durch eine zufällige thierische Spur aufgedrückten Zeichen bis zu unserem Alphabete von 24 Buchstaben ist, in welchem der schwache Rest einer Hand nicht mehr und nicht weniger, als den Laut i oder j bezeichnet, so glaube ich doch, dass der Ursprung der Schrift sich ohne allzugrosse Lücken auf diesem Wege erklären lässt. Die Einritzung der Zeichen zum Zwecke der Dauer, ihre Vervielfältigung, ihre mehr monumentale Anwendung, ihre erweiterte Geltung als Lautzeichen, ihre Anordnung zu einer Art System bei einem oder

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