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nahme den glücklichen Fortgang der Entzifferung sehr aufhalten, beziehungsweise eine Lesung der Inschriften ganz unmöglich machen könnte. Das Gesagte hat aber ganz besonders seine Anwendung auf die Entzifferung der in Rede stehenden Schriftart, der assyrischbabylonischen Keilschrift, bei der kraft ihrer eigenthümlichen Beschaffenheit, insonderheit bei der grossen Mannigfaltigkeit ihrer Zeichen, der Combination ohnehin ein sehr grosser und ein weit grösserer Spielraum gelassen ist, als bei den andern beiden Keilschriftarten, als vornehmlich bei der persischen Keilschrift, deren Zeichen, wie der Zahl nach sehr beschränkt, so ihrer Beschaffenheit nach völlig gleichartig sind (abgesehen natürlich von den Zahlzeichen und dem Trennungskeil). Es mag uns das zuletzt Hervorgehobene sofort überleiten zur Betrachtung

II.

der eigenthümlichen Schwierigkeiten, welche sich der Entzifferung gerade dieser Keilschriftart entgegenstellen. Dahin gehört in erster Linie der polyphone Charakter dieser Schrift d. i. die Eigenthümlichkeit, dass demselben Zeichen nicht selten zwei, drei und mehr verschiedene Lautwerthe zukommen. Das Factum selber ist ein ganz unläugbares. Bisutun 29 lesen wir am Schlusse des dem persischen Gaumâta entsprechenden Eigennamens im Assyrischen das Zeichen, welches hier nur ta (tav) bedeuten kann. Gleich im Anfange der Bisutuninschrift (Bisut. 1.) begegnen wir dem in Rede stehenden Zeichen an der Spitze des dem persischen Pârça entsprechenden Eigennamens; dasselbe Zeichen treffen wir Bis. 5. in der Mitte des dem persischen Çparda entsprechenden Wortes: es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass dem in Rede stehenden Zeichen neben dem Lautwerthe ta (tav) noch der andere: par eignet.

Noch schlagender wo möglich steht die Polyphonie zu beweisen bei dem Zeichen <<. Dieses Zeichen hat in der Dariusinschrift von Naksch-i-Rustam (6) den Lautwerth nis 1), ebenso in den beiden Xerxesinschriften: Niebuhr E. (7) und Van (14) und zwar alle drei Male in dem gleichen Namen Ah-a-ma-an-nis-si. Derselbe Name nun aber findet sich Elvend 20 auch A-ha- ... -ni-is-si geschrieben und zwar an der offen gelassenen Stelle mit dem in Rede stehenden Zeichen «<, so dass evident ist, an der betr. Stelle eignet dem Zeichen der Lautwerth man. Ja, beide Werthe kommen sogar neben einander diesem Zeichen mehrfach in einem und demselben Worte zu, nämlich eben diesem Worte Aḥamanissi! ) Noch

1) J. Brandis gegentheilige Angabe (über den historischen Gewinn aus der Entzifferung der assyrischen Inschriften. Berl. 1856. S. 103.) beruht auf falscher Sylbenabtheilung.

2) S. Oppert, Expéd. en Més. II. S. 13. Ménant in der Revue archéol 1861. I. S. 475.

ein Beispiel. Bis. 35 finden wir in der babylonischen Uebersetzung da, wo der Name Tigris (pers. Tigrâ) zu erwarten, die Zeichen: diig-X. Dem mit X angedeuteten Zeichen kann füglich nur der Lautwerth ra eignen, hiess nämlich auch im Babylonischen der Name des Flusses: Tigra 1). Demselben Zeichen X begegnen wir nun aber auch in dem Namen des Artaxerxes (Ar-tak-X-su) 2), wo augenfällig ein Werth ra (oder lat s. Anm.) ganz unangemessen. Gemäss dem pers. Ar-takh-sath-ra erwartet man einen Werth wie sat und dieser eiguet dem in Rede stehenden Zeichen auch sonst. Die Polyphonie desselben (es hat übrigens noch andere Lautwerthe) liegt somit auf der Hand.

Aber, wird man sagen, beruht nicht doch am Ende die Annahme einer solchen exorbitanten Unregelmässigkeit und Willkühr der postulirten Schrift irgendwie auf subjektiver Einbildung, auf noch nicht. genügender Kenntniss wie der Schrift so der Sprache dieser Inschriften? und ist die ganze Annahme nicht vielleicht lediglich der Verlegenheit der Entzifferer entsprungen, die auf eine andere Weise als durch die Statuirung des polyphonen Charakters mancher Schriftzeichen mit ihren Entzifferungen nicht glaubten zu Wege kommen zu können? - Doch nicht! Dass dieser polyphone Charakter vielmehr wirklich der assyrischen Schrift eignete, dafür haben wir einen unzweifelhaften Beweis in den Syllabarien, welche in dem Palaste Assur-bani-pals entdeckt sind. Aus denselben ersehen wir, dass die Assyrer selber den phonetischen Werth eines Zeichens nicht selten auf drei, vier und mehrfache Weise bestimmen. So z. B. hat Oppert Journ. Asiat. IX. 167 ein Syllabarium abdrucken lassen, das der Erklärung des Zeichens gewidmet ist. Schon früh war von Rawlinson vermuthet worden 3), dass diesem Zeichen neben dem Werthe ni auch der Werth zal oder sal (beide Werthe werden bei den Assyrern promiscue gebraucht) zukomme. Genau im Einklang hiermit bestimmt das Syllabar den Werth des Zeichens einerseits auf ni-i, anderseits auf șa-alṣal 4) (auch einen dritten sonst nicht vorkommenden Werth ili theilt das Syll. dem betreffenden Zeichen zu). Der polyphone Charakter des Zeichens ist uns somit so authen

1) Was freilich faktisch nicht der Fall ist. Der Name lautet im Assyrischbabylonischen vielmehr Diglat. Dem in Rede stehenden Zeichen eignet somit in Wirklichkeit der Werth lat an jener Stelle. Da wo der Eigenname der babylonischen Texte ein hat, bietet stets der persische ein (vgl. z. B. persisch Babiru mit babylon. Babilu). Das auslautende t des Namens ist abgeworfen. Für unsern Zweck ist diese Differenz der Aussprache gleichgiltig.

2) In der Inschrift des Artaxerxes Mnemon s. Opp. II. 194. 95 (durchweg); vgl. auch Journ. as. 1865. VI. S. 300 f.

3) Journ. of the R. As. Soc. XIV. I. Analys. 73.

4) Damit erledigt sich auch Dr. Hitzig's Zweifel an der Richtigkeit der Lesung şalmanu (17), d. i. Bilder Bis. 106; der Singular şalam (Bild) findet sich zudem, phonetisch geschrieben, in der grossen Inschrift von Khorsabad Z. 53 (Journ. Asiat. VI, 1. 1863).

tisch verbürgt, wie überhaupt nur möglich. Aus einem andern Syllabar 1) ersehen wir, dass einem Zeichen, das sehr häufig in den Inschriften den Lautwerth ka hat, von den Assyrern selber nicht weniger als 6 verschiedene Werthe beigelegt werden; das Zeichen für du hatte nach jenem Syllabar ausser diesem noch die Lautwerthe sa, ra, gu, și (und noch einen weitern, jetzt nicht mehr zu entziffernden); dem Zeichen für pi eignen nach eben dieser Tafel noch die weitern Werthe mi, a, tal und giltan u. s. f. Die Polyphonie dieser Schrift existirt somit nicht bloss in der Einbildung der Entzifferer, sondern ist ein über allen Zweifel erhabenes Faktum; für Jeden somit, der sich an die Entzifferung einer assyrischen Keilinschrift macht, eine Potenz, mit der er wohl oder übel rechnen muss. Wie diese auffallende Mehrlautigkeit eines und desselben Zeichens zu erklären sei: ob, wie Brandis meint, aus der allmähligen Verwischung der charakteristischen Unterschiede der Merkmale der ursprünglich verschiedenen Zeichen 2), oder aber aus der Rückwirkung der ideographischen Werthe auf die lautliche Beschaffenheit einiger Zeichen, oder wie sonst, lassen wir hier dahin gestellt sein; doch scheint uns das letztere das überwiegend wahrscheinlichste, da wir wenigstens für diese Entstehung gewisser Lautwerthe bei einigen Zeichen z. B. bei dem Zeichen (s. u.) den Beweis in den Händen haben..

Wie es zu

Eine weitere nicht geringere Schwierigkeit erwächst dem Entzifferer aus dem Umstande, dass es, wie auch eine nur oberflächliche Vergleichung der trilinguen Texte sofort erkennen lässt, neben den phonetischen Zeichen auch solche giebt, die entweder ausschliesslich oder aber neben Lautwerthen Sinn werthe haben; ausschliesslich oder aber zugleich Begriffe bildlich bezeichnen; also das sind, was man Ideogramme (Begriffszeichen) nennt. Ein solches Zeichen ist z. B., welches in den trilinguen Texten überall nur da erscheint, wo es dem Sinne nach soviel wie „König“ bedeuten muss. Phonetisch wird dieses Zeichen niemals verwandt. Es ist also ein ausschliesslich ideographisches Zeichen. lesen, ist zunächst gar nicht zu bestimmen; was feststeht, ist zunächst lediglich seine Bedeutung. Ein eben solches Zeichen ist ET, welches in der Dariusinschrift von Naksch-i-Rustam (5) genau an der Stelle steht, an welcher in den Xerxesinschriften von Van und sonst phonetisch geschrieben, das Wort li-sa-nu sich findet: es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das in Rede stehende Zeichen den Sinnwerth von lisanu (Sprache ) hat. Der ideographische Charakter einer Reihe von Zeichen ist so ein unbezweifelbarer. Es leuchtet ein, dass dieses dem Entzifferer mancherlei besondere Schwierigkeiten in den Weg legen wird. Aber die Schwie

1) Oppert, Exp. II. 53.

2) Brandis a. a. O. 82 ff.

rigkeiten wachsen, indem es ein ganz unläugbares Faktum ist, dass Zeichen, deren phonetischer Charakter durch die trilinguen Inschriften über jeglichen Zweifel erhoben ist, daneben auch einen ideographischen Charakter haben. So z. B. ist für das assyrische Zeichen.

durch die Eigennamen A-hu-ur-ma-az-da; Da-a-ri-ya-vus; A-haman-nis-si u. andere der Lautwerth a gesichert. Dieses selbe Zeichen finden wir in der Xerxesinschrift G. von Persepolis, der Dariusinschrift B. ebendaher, in der Inschrift des Artaxerxes Mnemon zu Susa und sonst in trilinguen Inschriften genau da im assyrischen Texte, wo ihm im Persischen das Wort putra,, Sohn" entspricht. Sicher ist hienach, dass das Zeichen ausser dem Lautwerthe a noch den Begriffswerth,,Sohn" hat. Nahe läge es zu vermuthen, dass dieser Sinnwerth dem in Rede stehenden Zeichen eigne, weil sein Lautwerth mit dem Laute des Wortes für „Sohn" im Assyrischen sich deckte. Endgültig liesse sich hierüber aus diesem einzelnen Falle noch nicht entscheiden. Liesse sich dagegen nachweisen, dass ,,Sohn" im Assyrischen nichts weniger als â lautete, so würde der rein ideelle Charakter des Zeichens unmittelbar einleuchten. Und das lässt sich nachweisen. ,,Sohn" lautete im Assyrischen habal oder abgekürzt bal (pal) 1). Der rein ideographische Charakter des Zeichens in dem in Rede stehenden Falle wäre damit dargethan. Sonach würde es evident sein: das Zeichen neben dem Lautwerthe noch einen zweiten, den ideographischen Werth,,Sohn". Ein anderes Beispiel. Wir bemerkten oben, dass dem Zeichen gleicherweise die Lautwerthe 'man' und 'nis' eigneten. Nun finden wir dieses Zeichen namentlich auf den trilinguen Inschriften unzählige mal an der Stelle, wo man in den babylonischen das Zeichen antrifft. Es ist somit evident, dass dem in Rede stehenden Zeichen neben dem Lautwerthe man und nis noch der ideographische Werth: „König, Fürst" zukam. Ein anderes, ebenfalls bereits polyphones Zeichen, welches wir oben der Betrachtung unterstellten, war das Zeichen für lat und sad (). Dieses selbe Zeichen findet sich des häufigsten in den trilinguen Texten da, wo ihm in den persischen Texten das Wort dahyâus „Land“ entspricht. Der ideographische Werth dieses Zeichens ist somit nicht minder sicher, wie seine verschiedenen Lautwerthe.

hat

Aber noch nach einer doppelten Seite hin mehren sich die Schwierigkeiten der Entzifferung und Lesung dieser eigenthümlich gearteten Schrift. Dieselben Zeichen, die bereits einen polyphonen Charakter haben und dazu oft auch ideographische Werthe, dieselben Zeichen dienen mitunter auch dazu, lediglich auf ein, meist ihnen folgendes Wort hinzuweisen und aufmerksam zu machen. Der Fall trifft ein bei den Eigennamen von Göttern, Personen, Städten, Ländern. Einem Personennamen geht so stets ein senkrechter Keil

1) S. Oppert im Journ. Asiat. IX. 1857. S. 157 ff. u. vgl. unten.

voraus, der für sein Theil völlig unübersetzbar ist, und dem deshalb im pers. Texte kein Wort irgend welcher Art entspricht; das. Gleiche gilt von dem Gotteszeichen, von den Zeichen, welche vor Städteund Ländernamen sich finden. Der Fall ist ein so gewöhnlicher, dass ein Beispiel herzusetzen völlig überflüssig wäre. Zu Hunderten kann man solche in den trilinguen Texten finden. Es leuchtet ein, dass ein solcher Umstand die Entzifferung und Lesung der Inschriften nach einer Seite hin sehr erschweren musste, während allerdings anderseits, war das Faktum einmal festgestellt, diese Eigenthümlichkeit dazu dienen konnte und kann, den Text schneller und sicherer zu verstehen. Es ist für einen mit dieser Eigenthümlichkeit der Schrift erst Vertrauten dann ein ähnliches Hilfsmittel des Verständnisses wie bei uns die Grossschreibung der Eigennamen und der Hauptwörter.

Schlägt also hier das, was zunächst die Schwierigkeit zu steigern schien, schliesslich um zu einem Mittel, den Text leichter und schneller zu verstehen, so verhält sich dieses allerdings anders bei einer letzten noch zu erörternden Eigenthümlichkeit dieser Schrift: nämlich nicht bloss durch ein einzelnes Zeichen, sondern auch durch eine Mehrheit von Zeichen, durch eine Zeichengruppe einen Begriff rein ideographisch zu bezeichnen. Merkwürdigerweise trifft dieser Fall gerade besonders häufig bei Eigennamen ein, freilich, wie wir gleich hinzusetzen wollen, doch nur bei solchen, die ganz besonders häufig den Babyloniern und Assyrern im Munde waren wie z. B. den Namen Babylon, Niniveh, Tigris, Euphrat u. s. w. Fremde, unbekanntere Namen, z. B. diejenigen ägyptischer, israelitischer, aramäischer Könige, Städte, Flüsse werden überwiegend rein phonetisch geschrieben. Bei jenen aber ist das Faktum unzweifelhaft. Bis. Z. 36 wird z. B. der Name Babel geschrieben mit Zeichen, die phonetisch gelesen Din-tir-ki lauten würden. Es leuchtet ein, dass die ganze Lautgruppe zusammengenommen Babel bezeichnet, von den Lauten des Wortes findet sich kein einziger in den assyrischen Zeichen wieder. Das Gleiche gilt von dem Namen Nebucadnezar, welcher Bis. 37. geschrieben ist mit Zeichen, die phonetisch ausgesprochen lauten würden: An-pa-sa-du-sis 1). So seltsam das Faktum, so sicher ist es. Denn dass sich die Sache nicht etwa so verhält, dass faktisch Babylon auch den Namen Din-tir-ki führte; dass Nebucadnezar auch An-pa-sa-du-sis geheissen, ersehen wir daraus, dass auf babylonischen Texten wohl der Name Babylon (= Ba-bi-lu oder Ba-bi-i-lu), niemals aber Dintirki phonetisch aufgelöst geschrieben wird, sowie dass der Name Nebucadnezar in eben diesen babylonischen Inschriften mit Buchstaben wohl Nabu

1) Andere Schreibweisen dieses Namens bei Brandis S. 28, wo jedoch die Aussprachen mit der Schlusssylbe ach in solche mit der Aussprache sis zu verwandeln sind; jenes ist der ideographische, dieses der phonetische Werth des betr. Zeichens. Vgl. noch Oppert im Journ. As. IX. 136 f.

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